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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sehen aus wie eine Fledermaus.«
    Von da ab erschien Schwester Angela auf kein Klingeln mehr. Am Morgen beschwerte sich die Station III über mangelnde Pflege beim Chefarzt.
    »Abkratzen kann man, und keiner kümmert sich drum!« schrie Staffner empört. »Wenn nun mein Amputationsstumpf gerissen wäre? Ich wäre glatt verblutet.«
    So gern hatte man die kleine Schwester Inge. Woher sie kam, was sie früher getan hatte, was sie dachte, wie sie außerhalb der Station III lebte, das wußte keiner. Sie war immer freundlich, zu allen gleich nett, sie verlor nie die Geduld und ertrug alles, was eine große Station an Lasten aufbürdete. Sie saß zwei Nächte in dem Einzelzimmer, in das man die Sterbenden rollte, neben einem im Delirium tobenden Mann, gab ihm Spritzen, deckte ihn immer wieder zu und blieb bei ihm, bis er gestorben war, unter Zuckungen und einem hohlen Röcheln. Am nächsten Morgen tat sie ihren vollen Dienst wie bisher, denn diese Wache war freiwillig gewesen.
    Mehr wußte man nicht von ihr. Sie war immer fröhlich, hatte langes, braunes Haar, das sie unter der kleinen, gestärkten Haube aufsteckte und verbarg, blaue Augen, ein rundliches Gesicht und einen schönen, gerade gewachsenen Körper, an dem – wie Brohl sich ausdrückte – ›alles dran ist, was eines Mannes Herz erfreut‹.
    Der augenblickliche Zustand war allerdings peinlich für diese stille Liebe in Stube 5 für Schwester Inge. Es ging um das Rauchen. Das war ein Gebiet, auf dem weibliche Ausstrahlung versagte. Es half auch nichts, in schönen Worten auszuweichen, als Inge die Thermometer verteilte. »Ach, seien Sie still!« sagte sie jedesmal. »Sie sind wie alle Männer! Nur Sorgen hat man mit ihnen.«
    Zehn Minuten später änderte sich die Lage.
    Paul Beißelmann, der Krankenpfleger, kam in das Zimmer und sammelte die Thermometer ein. Zunächst blieb er an der Tür stehen und übersah die Betten mit einem Rundblick. Er war lang und hager, ging ein wenig nach vorn gebeugt und hatte eine fahlgelbe Hautfarbe. Seine Haare trug er wie ein amerikanischer GI ganz kurz geschoren. Er zeigte dabei einen Ansatz von Eierköpfigkeit, der aber nicht weiter auffiel, sondern zu ihm paßte. Ein runder Kopf wäre anormal gewesen. Sein weißer Kittel ging ihm bis zu den Kniekehlen. Darunter trug er weiße Leinenhosen und weiße Leinenschuhe mit dicken Gummisohlen, die ihn lautlos werden ließen wie eine Katze. Schwester Angela hörte man schon draußen auf dem Flur – ein Knallen der Absätze, ein Rauschen der weiten Gewänder –, und auch Schwester Inge kündigte sich an durch das Getrippel ihrer Füße. Paul Beißelmann aber war plötzlich da, geisterhaft fast, ein langer, dürrer, weißgewandeter Pfahl, wortkarg und mürrisch, mit großen, harten Händen und graugrünen Augen, in die man nicht länger als zwei Sekunden blicken konnte, ohne daß man Herzklopfen und so etwas wie unbehagliche Angst bekam.
    »Aha!« sagte Beißelmann und hob das Kinn. »Es wurde geraucht. Keine Widerrede! Ich rieche es. Oder furzt jemand von euch Zigarettenduft?!«
    »Welche Worte am Sonntag«, sagte Brohl und hob sein Thermometer an die Augen. »36,7 … wie immer! Wird 'ne langweilige Fieberkurve, Sanitätsgefreiter Neumann …«
    Paul Beißelmann schwieg. Als Demonstration seiner Wortkargheit begann er, die Nachttische zu untersuchen, die Schränke, die Schubladen und andere Winkel des Zimmers. Bei Hieronymus Staffner fand er die Packung Zigaretten zwischen Kopfkeil und Matratze. Unter dem Schweigen der Kranken holte er eine Zigarette aus der Packung und hielt sie jedem einzelnen kurz vor die Augen. Von Bett zu Bett ging er, streckte den Arm aus, zeigte die Zigarette und zerquetschte sie dann zwischen seinen riesigen Händen.
    »So sieht euer Tod aus!« sagte er laut. »Eigentlich sollte man sich gar nicht darum kümmern. Glaubt ihr, wir verbieten euch das zum Spaß?«
    Wenn Beißelmann ›wir‹ sagte, meinte er sich und Prof. Morus damit. Neulinge grinsten darüber, aber ihr dummes Lachen verging, wenn sie später sahen, daß ein Wort Beißelmanns bei dem Chefarzt immer ankam. Es war eines jener Rätsel, über die auch Oberarzt Dr. Pflüger oft nachdachte, wenn er sah, daß Beißelmanns Stationsbericht mehr beachtet wurde als seiner, des Dozenten langer Vortrag über die Vorgänge auf Nummer III. Seit sieben Jahren schlich Beißelmann auf seinen Gummisohlen durch die Flure des Krankenhauses; er war plötzlich da, so lautlos wie sein ganzes Wesen wirkte, und niemand
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