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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Streuselkuchen. Es war, als wolle es aus dem Mageneingang hinauswachsen zur Speiseröhre.
    Heinrich Dormagen bekam Angst. Ich werde Erna nichts davon sagen, dachte er, während er an die getünchte Decke starrte. Gar nichts. Sonst nimmt sie die Fleischwürste wieder mit.
    *
    Das Zimmer Paul Beißelmanns lag am Ende der Station III neben der Wäschekammer, dem kleinen Einzelzimmer, in dem gestorben wurde und das gegenwärtig leer stand, und einem Baderaum, der zeitweilig als Ersatzsterbezimmer diente.
    Es war ein schmales, langes Zimmer mit einem Fenster zum Innenhof, immer dämmerig, dumpf und bedrückend. Fast wie eine Gefängniszelle. So einfach wie eine Zelle war auch die Einrichtung. Ein einfaches Holzbett, ein schmaler Tisch mit einem Stuhl, ein Spind als Schrank und eine Kommode, auf der eine Spitzendecke lag, völlig sinnlos und fremd in dieser kärglichen Umgebung. Auf der Fensterbank aber reihte sich Blumentopf an Blumentopf; in ihnen blühte es in allen Farben, und es waren kräftige, gesunde Pflanzen. Prof. Dr. Morus, der einmal das Zimmer Beißelmanns betreten hatte – aus Irrtum, weil er die Stationsschwester suchte und nicht wußte, was hinter dieser Tür war –, hatte diese Blütenpracht verblüfft angesehen und gesagt: »Wie kriegen Sie das fertig? Hier kommt doch gar keine Sonne rein?!« Und Beißelmann hatte in seiner verschlossenen Art geantwortet: »Wenn man darin Übung hat, Herr Professor.« Weiter nichts. Merkwürdigerweise verstand Prof. Morus sofort; es mußte zwischen Beißelmann und dem Chef ein geheimes Wissen um unbekannte Dinge liegen.
    An diesem Sonntag saß der diensthabende Arzt, Stationsarzt Dr. Harry Bernfeld, in Beißelmanns Zimmer, als der Krankenpfleger nach dem Frühstückverteilen zurückkam, um sein Bett zu machen.
    »Herr Doktor«, sagte Beißelmann und blieb an der Tür stehen, »ist etwas Besonderes?«
    »Nein, nein.« Dr. Bernfeld war ein junger, schwarzlockiger, fröhlicher Mensch. Er war Arzt aus Freude an diesem schweren Beruf geworden, und er hatte große Pläne in Richtung auf eine akademische Laufbahn. Das Wissen dazu brachte er zwar mit, aber ihm fehlte ein anderer Charakterzug, der ein schnelles Vorwärtskommen garantiert: Er war weder ein Schmeichler seiner Vorgesetzten noch ein Streber auf Kosten seiner Kollegen. Er war nichts als ein kluger und offenherziger Mensch. Daß dies zu wenig war für eine erfolgreiche akademische Laufbahn, wußte er noch nicht.
    »Ich wollte nur mal mit Ihnen quatschen, Beißelmann«, sagte Dr. Bernfeld.
    »Warum?«
    Die Frage verwirrte Bernfeld etwas. Er sah die graugrünen, ernsten Augen des Krankenpflegers und die verschlossene, abwehrgepanzerte Miene.
    »Ich habe Sie nun fast ein ganzes Jahr beobachtet.«
    »Das tun andere schon zehn Jahre.«
    »Sie haben bisher keinen Tag Urlaub genommen.«
    »Nein.«
    »Sie gehen nie aus, immer hocken Sie im Krankenhaus, in den Stationszimmern, in Ihrer Bude hier, oder Sie helfen im Leichenkeller aus. Sie haben keine Freunde, kein Mädchen, kein Radio, kein Fernsehen, kein Buch, absolut nichts! Sie leben bloß!«
    »Was geht das Sie an, Herr Doktor?« fragte Beißelmann dumpf.
    »Nichts.«
    »Also.«
    »Wenn man Sie ansieht und Sie sprechen hört, könnte man glauben, Sie hassen alle Menschen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall, Sie opfern sich für die anderen auf. Warum sind Sie …«
    Beißelmann senkte den Kopf. »Sind Sie Vertrauensarzt der Heilsarmee?« fragte er laut. Dr. Bernfeld nagte an der Unterlippe und schwieg. »Ich muß jetzt mein Bett machen und das Zimmer ausfegen.«
    Es war ein unverhohlener Hinauswurf, aber Bernfeld blieb sitzen. Beißelmann tappte zum Bett und begann, die Decke zusammenzufalten, das Kissen aufzuschütteln und das Bettuch glattzuziehen.
    »Das könnte doch eine der Reinigungskräfte machen«, sagte Dr. Bernfeld.
    »In mein Zimmer kommt keine Frau!«
    Es war die erste klare Antwort Beißelmanns, und sie war so voller Aussage, daß Dr. Bernfeld ruckartig den Kopf hob und Beißelmann groß anstarrte.
    »Das hört sich an … Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?«
    Beißelmann klopfte das Kopfkissen. »Das geht Sie nichts an, Herr Doktor.«
    »Ich glaube, Ihnen fehlt jemand, mit dem Sie offen sprechen können.«
    »Ich brauche keinen Beichtvater.«
    »Sie leben wie ein Tier.«
    »Tiere sind besser als Menschen!« Beißelmann drehte sich um. »Sie sind ein netter, junger Mann, Herr Doktor, aber Sie wären noch netter, wenn Sie nicht so viel fragen
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