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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorbei. Er hatte nur noch ein Drittel seines Magens. »Nur ein kleines Geschwürchen, machen wir eine Rollkur, das trocknet dann aus …«, vor einem Jahr hatte das der Hausarzt gesagt.
    »Alles Mist!« sagte Paul Seußer und schloß die Augen.
    In der Kapelle sangen noch immer die Schwestern. In der gleißenden Sonne tanzte Staub vor den Fenstern. Irgendwo klappten ein paar Türen. Stimmen auf den Fluren. Das ist Beißelmann, dachte Seußer und fühlte sich etwas schmerzloser. Paul Beißelmann, von dem Ernst Brohl sagte: »Es ist unmöglich, von Beißelmann nicht gefesselt zu werden.«
    Sonntag.
    Zimmer 5 der Männerstation III schlief wieder.
    Um sieben Uhr wurde es lebendig. Schwester Inge Parth erschien. Sie trug in der Hand ein Glas mit Thermometern und klapperte damit, als sie ins Zimmer kam. Ernst Brohl war der erste, der davon erwachte.
    »Guten Morgen!« sagte Inge Parth und sah sich im Zimmer um. Dann hob sie die Nase und schnupperte. »Hier hat jemand geraucht.«
    »Bestimmt nicht, Schwester.« Brohl setzte sich auf. »Vielleicht raucht einer unter unserem offenen Fenster und der Rauch steigt bis hier hinauf …«
    Inge Parth winkte ab. Sie lehnte sich an den Tisch, der in der Mitte des großen Zimmers stand. An diesem Tisch wurde gegessen, Skat gespielt, geschrieben, Politik betrieben, gebastelt und gelesen.
    »Warum tun Sie das?« fragte sie mit sanfter Stimme.
    In den anderen Betten wurde es lebendig. Das »Guten Morgen, Schwester«, das ihr entgegentönte, beantwortete sie nicht. Sie sah die Männer mit den vom Schlaf zerzausten Haaren an und schüttelte plötzlich den Kopf.
    »Sie wissen doch, daß keiner von Ihnen rauchen darf mit Ausnahme von Herrn Staffner, und der ist Nichtraucher. Und trotzdem: Wer war es?«
    Sie sah sich um. Ihr Blick ging von Bett zu Bett, und jeder, den sie forschend und fragend ansah, lächelte sie an mit einem unschuldigen, ja kindlich-treuen Gesicht.
    Es sind wirklich große Kinder, dachte Inge Parth und wandte sich ab. Der eine ist Handelsvertreter und hat eine Villa, der andere ist Schlossermeister. Einer hat eine kleine Fabrik mit sechzig Arbeitern, und sie brachten ihm einen riesigen Blumenkorb mit dem Schild: Unserem Chef die besten Wünsche zur Genesung. Sicherlich war er ein strenger Chef. Aber wie sie jetzt in ihren Betten saßen, den Schlaf noch in den Augenwinkeln und ohne Ausnahme schuldbewußt, glichen sie Riesenkindern. Alles, was sie außerhalb der Station III waren, lag so weit weg, daß es fast nur eine Erinnerung war. Jetzt, in ihren Schlafanzügen und Nachthemden, unter den frisch bezogenen Decken in den weißlackierten Betten, waren sie eine Handvoll Jungen, behaftet mit allen Tugenden und Untugenden, die sonst das erwachsene Alltagskleid überdeckt.
    »Also keiner?« sagte Inge Parth. »Ihr seid Feiglinge, ihr Herren der Schöpfung! Ausbaden muß ich es wieder! Wenn jetzt die Oberschwester Angela käme …«
    »O Gott! Der Sonntag ist ein Ruhetag!« rief Ernst Brohl.
    »Überlegen Sie es sich.« Inge Parth nahm das Glas mit den Thermometern vom Tisch. »Wenn ich gleich wiederkomme, liegen die Zigaretten hier.« Sie tippte auf die Tischdecke. »Ich will dann gar nicht wissen, von wem sie sind. Es geschieht doch nur zu Ihrem Besten, verstehen Sie doch!«
    Zimmer 5 schwieg verbissen. Das Leid der kleinen Schwester Inge war auch ihr Leid. Alle liebten sie, und es hatte sogar so etwas wie einen Aufstand gegeben, als Oberschwester Angela sie anschrie, weil um zehn Uhr noch nicht alle Betten gemacht waren. »Ich habe fünfzehn Kranke zu versorgen. Wie soll ich da durchkommen, Schwester Angela?« hatte Inge Parth gesagt. Und die Oberschwester hatte geantwortet: »Arbeiten müssen Sie. Arbeiten! Von nichts kommt nichts!«
    Das war der Augenblick, in dem die Station III erst still, in der Nacht aber laut revoltierte. In dieser Nacht wurde Schwester Angela fünfunddreißigmal gerufen, einmal, weil Staffner die nicht mehr vorhandene Ferse juckte, ein andermal, um ein zerknautschtes Kissen aufzuschütteln oder einen Schlafanzug zu wechseln, an dem ein Knopf fehlte. »Ich bin ein ordentlicher Mensch!« sagte Dormagen, der das Oberteil um drei Uhr nachts reklamierte. »Ich kann einfach nicht einschlafen mit einem fehlenden Knopf. Ich bin ein pedantisch ordentlicher Mensch, Schwester.«
    Den Gipfel leistete sich Ernst Brohl. Er schellte Sturm, als verblute jemand, und als Schwester Angela ins Zimmer stürzte, winkte er mit beiden Armen und sagte: »Wette gewonnen! Sie
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