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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Krankenhaus aufwachte, war er maßlos enttäuscht. Die Worte des Stationsarztes Dr. Bernfeld: »Sie haben ein unwahrscheinliches Glück gehabt … drei Millimeter an der Herzspitze vorbei …« betrachtete er als Beweis seiner Untüchtigkeit und weinte darauf vor Wut und Enttäuschung. Eigentlich gehörte er in die Psychiatrie, aber solange seine Wunde noch eiterte und die Partikelchen von Pulverschmauch abstieß, konnte er nicht aus der chirurgischen Abteilung verlegt werden. Dreimal wöchentlich besuchte ihn seine Frau. Eine junge, hellblonde, schlanke, nach französischem Parfüm duftende Frau. Sie saß an seinem Bett und hielt seine Hand, aber er sah sie nicht an; es war, als schäme er sich fortwährend. Warum er sich töten wollte, wußte keiner auf Zimmer 5. Hieronymus Staffner nannte ihn ein Rindvieh. »Bei so einer Bombe von Frau! Dem muß wirklich 'ne Schraube fehlen …« Die anderen pflichteten ihm bei. Für sie war es immer ein Anlaß, sich zu rasieren, wenn Evelyn Frerich auf die Station III kam. Sogar der leidende Dormagen, der nicht wußte, daß er Magenkrebs hatte, einen völlig inoperablen, wie Prof. Dr. Morus festgestellt hatte, wurde munterer, wenn Evelyn ins Zimmer trat und zu allen Betten hinwinkte, bevor sie zu ihrem Mann ging und sich auf die Bettkante setzte.
    »Guten Tag, mein Liebling!« sagte sie jedesmal, und es war, als habe sie damit auch die anderen Männer angesprochen.
    Karl Frerich atmete tief durch. Es tat noch weh in der Brust, und es erinnerte ihn immer daran, daß er einmal ein paar Minuten lang so verzweifelt gewesen war, daß er sein Leben wegschießen wollte. Minuten, die er jetzt nicht mehr begriff, ja, er war baß erstaunt über den Mut, den er aufgebracht hatte, auf sich selbst zu schießen.
    »Wenn ihr alle nicht so unheimlich viel quatschen würdet«, sagte er und gähnte hinterher. »Heute ist Sonntag!«
    Es erhob sich kein Widerspruch. Nach zehn Minuten schliefen sie wieder. Nur Paul Seußer saß noch in seinem Bett und hielt die Luft an, um seinen Schluckauf zu bezwingen. Er war ein Starpatient von Prof. Morus und wurde wöchentlich einmal einem Schwall von Jungmedizinern vorgestellt, mit Röntgenbild, Operationsbericht und kleinem Vortrag. »Na, meine Herren … nach Studium des Röntgenbefundes … was würden Sie sagen? Infaust, natürlich! Aber so natürlich ist das gar nicht. Wagen muß man etwas! Infaust kann man erst sagen, wenn Exitus ist!« Es waren die bekannten Wortkaskaden von Prof. Morus, die man pflichtgemäß belachte. Er nahm diese Heiterkeit zufrieden hin, denn ein fröhliches Gemüt lernt leichter, was auch zu seinen pädagogischen Präambeln gehörte. Dann folgte immer das gleiche: Paul Seußer mußte sich entkleiden und seinen Magenschnitt zeigen. Man drückte vorsichtig auf die Bauchdecke, fragte, wie es ihm ginge, was er unter den Augen des Professors immer mit »Sehr gut!« beantwortete, ließ sich die Operation berichten, die keiner verstand, weil es von Latein wimmelte, und hörte dann immer wieder den Ausruf »Toll! Wirklich toll! Das ist ein klassischer Billroth II, wo keiner mehr 'nen Fünfer gegeben hätte.«
    So erfuhr Paul Seußer auch, wie schlecht es damals um ihn gestanden hatte, obgleich der Hausarzt und auch der Professor zu ihm gesagt hatten: »Mein lieber Herr Seußer, ein kleines Magengeschwür, eine Routinesache nur …«
    Der Schluckauf kam wieder, trotz Luftanhaltens. Es nutzte gar nichts. Man kann einen blubbernden Vulkan nicht mit einem Taschentuch abdecken. Aber Paul Seußer zwang sich, leise zu sein. Er krümmte sich, hielt beide Hände vor den Mund und dämpfte den Ton ab. Im Inneren, hinter der breiten Narbe, tat es weh, stach es etwas und war es, als zöge jemand an den Gedärmen. Nur eine Sekunde war es, während des Schluckaufs, aber sie genügte, Schweiß über den Körper Paul Seußers treiben zu lassen.
    Dann lag auch er auf dem Rücken und preßte die Hände flach auf die Narbe.
    Um ihn herum schliefen sie, mit rasselndem, pfeifendem, schnarrendem Atem. Vor den Fenstern zwitscherten die Vögel, breitete sich goldene Hitze über die Bäume und Dächer und flatterte von fern noch immer der Gesang aus der Kapelle herein.
    Sonntag, dachte Seußer. Um elf, nach der Kirche, ging ich zum Frühschoppen. Sechs Pils und vier Steinhäger, das war so das richtige Quantum, um sich auf das Mittagessen zu freuen. Auf einen Braten, auf Klöße mit Specksoße, auf Rouladen, gefüllt mit Schinken und Gurken. – Das war nun alles
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