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Maenner in Freilandhaltung

Maenner in Freilandhaltung

Titel: Maenner in Freilandhaltung
Autoren: Michaela Thewes
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kulinarische Angebot im Wesentlichen aus Backwaren und Tütensuppen zu bestehen schien, denn die Dorfschenke wurde nicht bewirtschaftet. Unschlüssig, welche Richtung ich jetzt einschlagen sollte, blieb ich stehen. Zum Glück kam in diesem Moment ein älterer Herr auf einem klapprigen Fahrrad vorbeigeradelt.
    »Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo sich der nächste Taxistand befindet?« Der Mann stieg von seinem Fahrrad und musterte mich verständnislos von oben bis unten. Vielleicht war er schwerhörig oder sprach kein Deutsch. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und wiederholte sehr laut und sehr deutlich: »T-A-X-I?«
    Der ältere Herr zuckte erschrocken zusammen. »Warum schreien Sie denn so?«, brummte er vorwurfsvoll. »Hier gibt es keine Taxis.«
    Und fließendes Wasser und Kabelfernsehen vermutlich auch nicht, dachte ich genervt. Laut sagte ich: »So was in der Art habe ich schon fast befürchtet. Sind Sie dann vielleicht so freundlich, mir den Weg zum Wiesengrund zu erklären?«
    Wäre meine Laune ein wenig besser und mein Gepäck nicht ganz so schwer gewesen, hätte ich der ländlichen Idylle möglicherweise mehr abgewinnen können als die Erkenntnis, dass Kleinvieh tatsächlich auch Mist macht. Scheiße! Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes ... Nachdem es mir endlich gelungen war, die stinkenden Exkremente von meinen Schuhen abzukratzen, erreichte ich nach einem gut zehnminütigen Fußmarsch mein Ziel. Obwohl ich nur ein einziges Mal, zur Hochzeit meiner Schwester, hier gewesen war, erkannte ich das hübsche weiß getünchte Haus, das Ninas neues Zuhause war, sofort wieder.
    Eine gut aussehende Rothaarige zupfte im Vorgarten gegenüber verwelkte Blüten von einem Margeritenstrauch. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass man hier auf dem Land politisch, musikalisch, modisch, ja eigentlich in allem ein wenig hinterherhinkte. Was die Mode betraf, belehrte mich Ninas Nachbarin sogleich eines Besseren. Sie trug eine trendige Chinohose und ein fliederfarbenes, unter dem Busen zusammengerafftes Top, das allem Anschein nach ebenfalls aus der neuesten Sommerkollektion stammte. Als sie mich sah, hielt sie kurz in ihrer Arbeit inne und beäugte mich misstrauisch. Es war nicht anzunehmen, dass sich oft Fremde in dieses gottverlassene Nest verirrten, insofern war ihre Neugier verständlich. Ob Nina und sie befreundet waren? Ich nahm mir vor, meine Schwester später danach zu fragen.
    »Guten Tag«, grüßte ich im Vorbeigehen artig.
    Ich wollte von Anfang an ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis pflegen. In Düsseldorf kannte ich kaum die Gesichter, geschweige denn die Namen der meisten Nachbarn, in Hasslingdorf würde das vermutlich etwas anders laufen. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Landbevölkerung waren ja fast schon sprichwörtlich.
    »Tag«, grüßte die Rothaarige kurz angebunden zurück.
    Nun ja, an den rauen Charme der Dorfbewohner musste man sich als Stadtmensch wohl erst gewöhnen.
    Mit einem tiefen Seufzer stellte ich meine Reisetasche vor der Haustür des Einfamilienhauses ab, in dem Nina, Daniel und die Kinder wohnten, atmete kurz durch und drückte dann energisch die Klingel. Kurze Zeit später wurde die Haustür geöffnet, und Daniel stand vor mir. Hat er bei der Hochzeit auch schon so gut ausgesehen?, fragte ich mich unwillkürlich, als ich zu ihm aufblickte. Zumindest war anzunehmen, dass er seither nicht mehr gewachsen war. Plötzlich kam ich mir mit meinen eins dreiundsiebzig fast wie ein Zwerg vor, denn Daniel überragte mich um mindestens anderthalb Köpfe. Sein markantes Gesicht wurde von auffallend schönen bernsteinfarbenen Augen beherrscht, die mich freundlich, aber distanziert musterten.
    »Ja bitte?«
    Ich wartete darauf, dass er den Scherz auflösen und mich lachend hereinbitten würde, doch er schien gar nicht daran zu denken, den Weg ins Haus freizugeben.
    »Ich bin’s, Louisa, deine Schwägerin.«
    »Oh, Louisa, sorry! Ich hab dich gar nicht erkannt.«
    Lag das an dem Baseballkäppi? An der Sonnenbrille? Oder vielleicht daran, dass wir uns, abgesehen von der Hochzeit, bislang erst fünf- oder sechsmal getroffen hatten? Andererseits brauchte Daniel doch nur eins und eins zusammenzählen. Sofern Nina außer mir nicht noch mehr Babysitter angeheuert hatte, sollte er auf mein Kommen vorbereitet sein.
    »Was für ein Pech. Deine Schwester ist nicht da.« Daniel lächelte und hob bedauernd die Hände. »Du hättest vorher anrufen sollen.«
    Ich verdrehte die Augen.
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