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Maenner in Freilandhaltung

Maenner in Freilandhaltung

Titel: Maenner in Freilandhaltung
Autoren: Michaela Thewes
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seinen Fingern auf dem Aktenordner herum, den er bei sich trug, und scharrte ungeduldig mit den Hufen.
    »Du, Nina, lass uns am besten später noch mal telefonieren. Ich muss jetzt Schluss machen«, erklärte ich hastig. »Mein Chef ist gerade ins Büro gekommen und hat etwas Dringendes mit mir zu besprechen.«
    »Aber ich kann mich darauf verlassen, dass du kommst?«, drängte Nina.
    »Natürlich. Versprochen ist versprochen.« Mit den wenig einfallsreichen Worten »Lass dich nicht unterkriegen, Schwesterherz, das wird schon wieder« beendete ich schnell das Telefonat.
    Während ich mit meinem Chef die Akte durchging, hatte ich Mühe, mich zu konzentrieren. Statt um Zahlen und Bilanzen kreisten meine Gedanken unablässig um Ninas Ehekrise. Auf der Hochzeitsfeier hatten Nina und Daniel so glücklich gewirkt, dass sogar ich meine Vorbehalte gegen die überstürzte Heirat vergessen hatte. Was war schiefgelaufen? Was war das für eine Frau, die die Beziehung der beiden sabotierte und mit der Nina konkurrieren musste? Fast ein Jahr lang hatte Nina beinahe jedes Wochenende im Sauerland verbracht. Wie war es möglich, dass ihr diese Nebenbuhlerin nicht schon viel früher aufgefallen war? So blind vor Liebe konnte man doch gar nicht sein! Oder hatte Nina die Gefahr, die von dieser Frau ausging, einfach unterschätzt? Vielleicht war Ninas Konkurrentin ja auch erst nach der Hochzeit in Daniels Leben getreten. Natürlich war es müßig, darüber zu spekulieren, trotzdem konnte ich nicht anders, als unablässig an diese ominöse Frau zu denken.
    Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl herum. Als wir gerade über einem komplizierten Abschreibungsmodell brüteten, platzte es aus mir heraus: »Hans-Hermann, ich brauch mal ’ne Pause.«
    »Kein Problem, geh ruhig zur Toilette«, sagte mein Boss, der mein Herumgezappel offenbar falsch interpretiert hatte, gnädig. »Wir reden später weiter.«
    »Äh ... ich brauche eine längere Pause. Ich ... hatte so an drei bis vier Wochen gedacht, höchstens fünf.«
    Hans-Hermann sah mich fragend an.
    »Chef, sie meint Urlaub«, kam Pia mir vom Schreibtisch gegenüber aus zu Hilfe.
    Hans-Hermann, der wusste, dass mich normalerweise nur unaufschiebbare Termine vom Büro fernhalten konnten, genehmigte meinen Urlaub, ohne weitere Fragen zu stellen. Offenbar war ich in der Kanzlei keineswegs so unentbehrlich, wie ich gehofft hatte. Nun gut, darüber würde ich mir ein andermal Gedanken machen, im Augenblick wurde ich woanders dringender gebraucht. Auf ins Sauerland! Meinem Spezialauftrag als Männernanny stand nichts mehr im Wege.

Kapitel 2

    Gedankenverloren starrte ich aus dem Zugfenster. Auch wenn die Umstände nicht besonders glücklich waren, freute ich mich darauf, Nina wiederzusehen. Sie war mehr als nur ein Teil meiner Familie – sie war meine ganze Familie! Unser Vater war vor ein paar Jahren mit seiner zweiten Frau nach Amerika ausgewandert, wir sahen ihn nur selten, und unsere Großeltern waren schon vor langer Zeit gestorben. Quer übers Land verteilt gab es ein paar weitläufige Verwandte, deren Existenz ich sicherlich längst vergessen hätte, wenn nicht hin und wieder eine kitschige Weihnachts- oder Geburtstagskarte von ihnen eingetrudelt wäre.
    Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück, massierte meine pochenden Schläfen, um die Kopfschmerzen zu vertreiben, und versuchte, mich zu entspannen. Für jemanden wie mich, der normalerweise jeden Einkauf im Supermarkt wie eine Marsexpedition plante, kam diese Reise ziemlich spontan. Gestern Morgen hatte ich noch mit Simon im Fahrstuhl gestanden, und jetzt saß ich im ICE Richtung Sauerland. Was Ninas ominöse Nebenbuhlerin betraf, war ich immer noch genauso schlau wie am Vortag. Denn obwohl ich mir zwischenzeitlich die Finger fast wund gewählt hatte, war es mir nicht gelungen, meine Schwester an die Strippe zu bekommen. Vermutlich steckte sie bis über beide Ohren in Reisevorbereitungen, und so hatte ich Nina die Ankunftszeit meines Zuges der Einfachheit halber auf ihrer Handymailbox hinterlassen.
    Den größten Teil der Fahrt verbrachte ich in einer Art Dämmerzustand. Das lag zum einen am sanften Schaukeln des Zuges, das mich schläfrig machte, zum anderen am Chardonnay, den Pia und ich am Vorabend gemeinsam gebechert hatten. Schließlich musste mein morgendliches Fahrstuhlerlebnis mit Simon vor meiner Abreise noch ausgiebig diskutiert werden. Da wir dabei sehr gewissenhaft vorgingen und jedes Wort und jede Geste von allen Seiten
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