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Maenner in Freilandhaltung

Maenner in Freilandhaltung

Titel: Maenner in Freilandhaltung
Autoren: Michaela Thewes
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versuchte ich die Unterhaltung in Schwung zu bringen. »Wie lange ist eure Hochzeit schon wieder her?«
    »Zwei Monate und siebenundzwanzig Tage«, antwortete Nina wie aus der Pistole geschossen. Dann schwieg sie wieder.
    Im Vergleich zu ihr war eine Auster ein offenes Wesen. Was war bloß los?
    »Und wie läuft es so?«, fragte ich in munterem Plauderton und versuchte, das beklommene Gefühl, das sich wie eine dunkle Wolke vor die Sonne zu schieben schien, abzuschütteln. Irgendetwas war hier faul. Wenn Nina nicht quatschen wollte, warum rief sie dann überhaupt an? Natürlich zeichnet sich eine enge Beziehung dadurch aus, dass man nicht nur gut miteinander reden, sondern auch schweigen kann. Aber am Telefon?! »Was machen die kleinen Rabauken? Und wie geht es ...?«
    »Lulu, ich brauche deine Hilfe«, unterbrach mich Nina plötzlich. Sie war die Einzige, die mich nicht Louisa, sondern Lulu nannte.
    Als ich diesen Kosenamen hörte, stellte sich gleich die alte Vertrautheit wieder ein.
    »Jederzeit. Was soll ich tun?« Unwillkürlich straffte ich die Schultern, bereit, meiner Schwester bei ihren Problemen, egal welcher Art sie auch sein mochten, tatkräftig zur Seite zu stehen. »Erzähl! Was ist los?«
    »Es geht um Daniel ...«
    »Was ist mit Daniel?«, fragte ich alarmiert. Ich versuchte, meine Stimme nicht allzu hysterisch klingen zu lassen, was jedoch gründlich misslang. »Ist er krank?«
    Seit unsere Mutter vor zwanzig Jahren an Krebs gestorben war, rechnete ich ständig damit, dass das Schicksal wie ein gefräßiges Raubtier, das irgendwo im Dickicht lauert, erneut zuschlagen würde. Als meine Mutter uns für immer verließ, war ich vierzehn und meine Schwester fünfzehn. Während sich andere Mädchen in der Pubertät mit existenziellen Sorgen wie Hautunreinheiten oder Liebeskummer herumschlugen, hatten wir mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Was aber keinesfalls bedeutete, dass uns die Pickel erspart geblieben wären. Der Verlust unserer Mutter hatte uns Schwestern jedoch einander noch näher gebracht. Als Teenager klebten wir ständig zusammen.
    »Nein, Daniel ist kerngesund«, beruhigte mich Nina. Obwohl das doch eigentlich ein Grund zur Freude sein sollte, klang sie niedergeschlagen.
    Mittlerweile war ich in meinem Büro angelangt, winkte meiner Freundin und Kollegin Pia, die bereits fleißig auf ihrer Computertastatur herumhackte, kurz zu und ließ meine Handtasche achtlos neben meinem Schreibtisch auf den Boden fallen. Während ich mir mit der linken Hand das Handy ans Ohr hielt, begann ich mit der rechten Hand im Stehen einige Dokumente und Schnellhefter zu sortieren, die Hans-Hermanns Sekretärin mir zur Durchsicht auf meinen Arbeitsplatz gelegt hatte.
    »Und was ist dann mit Daniel?«
    »Er ... also wir ... ich meine vielmehr, ich ...«
    Aus dem Gestammel wurde kein Mensch schlau. »Ninaaa! Könntest du mir jetzt endlich mal erzählen, was los ist?«
    »Na schön.« Nina seufzte tiefer, als ein Pottwal tauchen kann. »Seit wir aus den Flitterwochen zurück sind, läuft es zwischen Daniel und mir nicht so besonders.« Nach einem kurzen Räuspern fügte sie hinzu: »Und das ist noch harmlos ausgedrückt. Ehrlich gesagt kriselt es gewaltig in unserer Ehe.«
    Mit einem ungläubig gehauchten »Oh« ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken. Den Schock musste ich erst einmal verdauen. Achtlos schob ich den Papierkram auf meinem Schreibtisch zur Seite.
    Wenn man den Erfahrungsberichten der verheirateten Pärchen in meinem Freundeskreis Glauben schenken durfte, gab es in jeder Ehe Höhen und Tiefen. Krisen gehören nun mal zum Bund fürs Leben dazu wie Menstruationsbeschwerden zum Leben einer Frau – schmerzhaft und lästig, aber völlig normal. Normal nach ein paar Jahren, aber doch nicht nach drei Monaten!
    Hilfesuchend wanderte mein Blick zum Schreibtisch auf der anderen Seite des Raumes, wo Pia gerade mit flinken Fingern Zahlenkolonnen in ihren PC eingab. Als Langzeitsingle war meine Freundin zwar nicht unbedingt die ultimative Ratgeberin in Liebesangelegenheiten, allerdings schien an ihrem goldenen Beziehungsleitsatz tatsächlich etwas dran zu sein: Erst bist du im siebten Himmel, und dann fällst du aus allen Wolken ... Ninas und Daniels Beziehung befand sich offenbar bereits im Sinkflug. Dabei war Nina sich so sicher gewesen, mit Daniel das ganz große Los gezogen zu haben. Und ich hatte ihr von Herzen gewünscht, dass sie richtig damit lag. Denn wenn es jemand verdiente, glücklich zu
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