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Maenner in Freilandhaltung

Maenner in Freilandhaltung

Titel: Maenner in Freilandhaltung
Autoren: Michaela Thewes
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beleuchteten, waren aus einem Glas Wein im Laufe des Abends zwei Flaschen geworden. Selbst wenn ich ein Auto gehabt hätte – was nicht der Fall war, denn in der Düsseldorfer Innenstadt ist es wahrscheinlicher, ein frisch gelegtes Straußenei als einen freien Parkplatz zu finden –, hätte ich mich an diesem Tag nicht hinters Steuer setzen dürfen. Der Restalkohol in meinem Körper war hoch genug, um jeden Blutsauger sofort außer Gefecht zu setzen.
    Müde schloss ich die Augen. Ein kleines Nickerchen wäre genau das Richtige gewesen, doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war einzuschlafen, klingelte irgendwo im Abteil ein Handy. Von wegen ICE, die reinste Bimmelbahn war das!
    Nach der Begrüßung und dem obligatorischen »Ich sitze gerade im Zug« folgte meistens eine mehr oder weniger genaue Bestimmung des Streckenabschnitts oder des Reiseziels. Meine Güte, musste man denn wirklich immer und überall erreichbar sein? Manche Dinge waren offenbar so wichtig, dass sie keinen Aufschub duldeten – wie etwa die Frage, ob abends Schnitzel oder Buletten auf den Tisch kommen sollten. Als unfreiwilliger Zeuge dieser Telefonate bekam man weiß Gott nicht nur leichte Kost serviert. Zwei Reihen vor mir hatte eine junge Frau ihrer Freundin – sowie geschätzten zwanzig bis dreißig weiteren Mitreisenden im Abteil – gerade unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass sie einer gewissen Natascha den Kerl ausgespannt hatte. Mich schüttelte es. Wer brauchte noch Talkshows, wenn er hautnah und vor allem live am Leben seiner Mitmenschen teilhaben durfte?
    Ich fügte mich in das Unvermeidliche, bis ein besonders durchdringender Handyklingelton meine Nerven malträtierte. Es klingelte und klingelte. Mein Gott! Konnte denn nicht endlich mal jemand rangehen?! Wie rücksichtslos! Ich blinzelte verschlafen, um den Störenfried ins Visier zu nehmen. Als ich die Augen geöffnet hatte, stellte ich fest , dass etliche Mitreisende das Gleiche taten: Sie bedachten mich mit giftigen Blicken. Recht hatten sie! Wer keinen Alkohol vertrug, sollte besser die Finger davon lassen. Offenbar war ich noch so angeschlagen, dass ich nicht mal meinen eigenen Klingelton erkannt hatte.
    Mit glühenden Wangen kramte ich mein Handy aus meiner Handtasche hervor. Das war bestimmt Nina. Damit meine Sitznachbarn endlich aufhörten, mich anzustarren, nahm ich den Anruf schnell entgegen. Nachdem ich mich mit einem knappen »Hallo« gemeldet hatte, hörte ich eine tiefe Männerstimme, bei deren Klang mich unwillkürlich ein freudiger Schreck wie ein Stromstoß durchzuckte: »Hi, Louisa. Simon hier.«
    »Simon ... schön ...«, stammelte ich völlig perplex, »... schön, dass du anrufst, meine ich.« Mist! Obwohl mein Kopf extrem gut durchblutet war – vermutlich leuchteten meine Ohren im Dunkeln sogar –, stellte sich mein Gehirn einfach tot.
    »Sicher fragst du dich, wo ich deine Handynummer herhabe.«
    »Äh ... ja«, log ich, denn offen gestanden war ich kaum in der Lage, überhaupt zu denken, geschweige denn etwas, das auch nur ansatzweise mit Logik zu tun hatte. Ich war mir nicht sicher, wer mehr Schuld daran trug: mein Kater oder Simon.
    »Pia war so nett, mir deine Nummer zu geben. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
    »Aber sicher. Es sei denn, du hast vor, mir eine Versicherung oder einen Toaster aufzuschwatzen«, machte ich behutsam eine verbale Lockerungsübung.
    »Was das betrifft, kann ich dich beruhigen.« Simon lachte leise, und ich meinte, das kleine Grübchen, das immer, wenn er sich über etwas amüsierte, auf seiner Wange erschien, vor mir zu sehen. »Die Toaster sind weggegangen wie warme Semmeln, es gibt nur noch Waschmaschinen. Aber eigentlich rufe ich aus einem ganz anderen Grund an. Wir sind gestern leider unterbrochen worden«, fuhr er fort. »Wir hatten gerade darüber gesprochen, dass wir ja mal gemeinsam essen gehen könnten.«
    Mein Herz raste schneller als der ICE, der mit hoher Geschwindigkeit gen Sauerland preschte. »Gemeinsam essen gehen ... ja, klasse.« Möglicherweise hatte das eine Spur zu begeistert geklungen, deshalb fügte ich noch wohltemperiert hinzu: »Ich meine, essen müssen wir schließlich alle mal, oder?!«
    »Ich weiß, das ist ziemlich kurzfristig, aber was hältst du von heute Abend?«, schlug Simon vor.
    Offenbar war Pia geizig gewesen und hatte außer meiner Handynummer keine weiteren Informationen rausgerückt. »Heute Abend wäre toll. Nur wird es leider nicht gehen, ich sitze nämlich gerade im
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