Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Halblinge

Der Fluch der Halblinge

Titel: Der Fluch der Halblinge
Autoren: Prisca Burrows
Vom Netzwerk:
KAPITEL 1
    DER TAG DANACH
    Der Plan ist reif, das Ziel ist nahe.
Wohlan denn! Zeit zu handeln.
Ich bin Dubh Sùil , ich bin Schwarzauge,
und ich sehe alles.
*
    »Da sind sie! Wir haben sie!«
    Er hörte das Jammern und Klagen, er sah, wie sie lachend die Netze über die Fliehenden warfen, und rannte weiter.
    Fionns Herz pochte so laut, dass er Angst hatte, es würde den Hufschlag übertönen. Es war sein Glück, dass es nicht gelang.
    Ja, ein Glückskind bin ich , dachte er freudlos, während er barfuß um die Ecke flitzte, ein echter Pfundskerl fürwahr .
    Ein beliebtes Bogin-Sprichwort, wenngleich zu diesem Zeitpunkt reichlich schief. Die bewunderten Pfundskerle landeten nämlich in der Pfanne und wurden mit zerlassener Butter und gerösteten Mandelblättchen serviert, mit gebotenem Ernst und unter Ehrungen verzehrt und anschließend die Gräten den unter dem Tisch herumstaksenden Hühnern zugeworfen.
    Fionn drohte ein weitaus schlimmeres Schicksal, wenn es ihm nicht gelang, zu entkommen. Und das stand noch lange nicht fest. Bis jetzt war er jedes Mal gerade so um Haaresbreite entwischt, doch das Ende der Jagd war keineswegs in Sicht. Nicht einmal die in wenigen Stunden nahende Dunkelheit würde die Häscher aufhalten. Sie würden nicht rasten und ruhen, bis sie alle Bogins gefangen hatten. So lautete der Befehl.
    Nun war Fionn am Ende der Gasse angekommen und wollte die größere Straße überqueren, da hörte er sie rufen und von der anderen Seite im Galopp heransprengen. Hastig bremste er, warf sich herum und schlüpfte in eine schmale Häuserverbindung, die mehr Abfallrinne denn Weg war. Fionn hielt sich die Nase zu und unterdrückte den Ekel vor dem glitschigen Schlamm, durch den seine bloßen Füße schlitterten. Nicht hinfallen, aufrecht bleiben, und hindurch! Wenn er schneller rannte, konnte er vielleicht darüber hinweglaufen, wie es die ätherischen Elben vermochten, die kaum einen Fußabdruck im Staub hinterließen.
    Beißender Gestank reizte ihn, und er musste husten, aber er brachte es nicht über sich, durch die Nase zu atmen. Mit brennenden Augen hastete er voran, passierte den nächsten Häuserdurchgang und stand plötzlich vor einer Mauer. Links ging es weiter, und er folgte der Rinne in der Hoffnung, nicht im Kreis zu laufen. Beobachteten ihn die Leute? Wer mochten die Bewohner dieser heruntergekommenen, ungepflegten Behausungen sein? Fionn sah und hörte sie nicht, und niemand verstellte ihm den Weg. Vielleicht lebte hier gar niemand mehr, oder diese Wesen waren Nachtgeschöpfe. Das würde den Dreck erklären; denn wer aus dem Fenster kletterte oder flog, um das Haus zu verlassen, den brauchte die Pflege der Straße nicht zu kümmern.
    Die Stimmen klangen auf einmal viel näher, und Fionn konnte einzelne Wortfetzen auffangen, die zwischen den Häuserschluchten hindurchschallten. Hierhin! Da rüber! Sucht dort drüben! Hast du einen Bogin gesehen? Geht aus dem Weg, ihr Idioten! Im Namen des Palastes, macht Platz! Gebt Auskunft und verbergt nichts! Wagt es nicht, uns zu belügen, oder ihr erleidet dasselbe Schicksal!
    Schluchzend vor Angst bog Fionn erneut ab, verharrte kurz, um sich zu orientieren. Ein kleiner Platz, wie er seit Stunden mittlerweile ein Dutzend überquert haben mochte, vielleicht sogar auch genau diesen hier. Kleine, nicht mehr als zwei Stockwerke hohe schmale Häuser schmiegten sich aneinander, manche schon so krumm, dass sie die Stütze der anderen brauchten. Bei den meisten blätterte die Farbe ab, sie waren beherrscht von dahinbleichendem Grün, und Gelb und Rosa, Violett und Blau. Und ein bisschen Weiß dazwischen sowie schwarze Fachwerkbalken mit tief hängenden roten Dächern.
    Wenn er sich nur erinnern könnte, in welchem Sektor der unüberschaubar großen Reichshauptstadt es diese Häuser gab! Wie weit war er von zu Hause entfernt? Eine Wegstunde, oder nur ein paar hundert Fuß? Wohin konnte er sich noch wenden?
    »Durchkämmt jede einzelne Gasse, jedes Haus!«, erklang es hinter ihm im Befehlston. Dieser Befehl galt sicherlich für die ganze Stadt, doch es würde noch Stunden dauern, bis die Häscher tatsächlich alle Viertel erreicht hatten. Um es schneller zu schaffen, würden mindestens eintausend Mann gebraucht. Und damit stand die Richtung fest: Er musste vorwärts. Fionn war sich darüber im Klaren, dass sich das Netz immer enger um ihn zog. Wahrscheinlich trieben sie ihn längst systematisch vor sich her, und er konnte dem nicht entgegenwirken, weil er hier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher