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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Leben leben mußt und dir die anderen nicht helfen, wenn es dir dreckig geht. Aber denk auch daran, daß es wichtig ist, ein Gefühl der Gemeinschaft zu haben, so schwer es manchmal fällt. Verstehst du es?«
    »Ja, Herr Direktor.«
    Ihre Stimme ist klangvoll, ruhig und beherrscht, dachte Dr. Schmidt. Er erinnerte sich noch einmal, was er in ihren Akten gelesen hatte. Zehn Einbrüche, bei denen sie Schmiere stand und auch eine Werkzeugtasche trug. Wegbringen der Beute mit dem elterlichen Kleintransporter. Verkauf der gestohlenen Ware auf Märkten. Es war unwahrscheinlich, wenn man in diese Augen blickte und dieses Gesicht ansah, das ein alter italienischer Meister gemalt haben könnte.
    »Sie haben alles bekommen, was Sie brauchen?« Monika Busses Blick wurde fragend. Warum jetzt weitersprechen in der Sie-Form, sagte dieser Blick. Habe ich mit diesem Ja etwas falsch gemacht? Dr. Schmidt merkte die innere Abwehr und räusperte sich wieder.
    »Brauchst du noch etwas?«
    »Nein, Herr Direktor.«
    »Du wirst im Zimmer 4, Block II schlafen. Deine Heimmutter ist Fräulein Julie Spange.«
    »Ich kenne sie bereits, Herr Direktor.«
    »Du liegst in einem Zimmer mit einer Hilde Marchinski und einer Käthe Wollop. Das sind zwei böse Mädchen. Ich lege dich zu ihnen, weil ich glaube, daß du sie ein wenig zu deinen Freundinnen machen kannst.«
    »Das glaube ich nicht, Herr Direktor.«
    »Und warum nicht?«
    »Ich … ich …« Ihre Stimme schwankte plötzlich und wurde kindlich. »Ich habe meinen Eltern solche Sorgen gemacht. Ich möchte dieses eine Jahr verbüßen. Und ich möchte zur Besinnung kommen. Ich weiß bis heute nicht, warum ich das alles getan habe …«
    »Du wirst viel Zeit haben, über alles nachzudenken, Monika.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Auf gute Zusammenarbeit –«
    »Zusammenarbeit …?«
    »Aber ja! Du bist jetzt eines der Moormädchen. Und wir alle sind eine große Familie, in der jeder seine Aufgabe hat. Einer ist auf den anderen angewiesen … und wenn einer ausfällt, ist es der Schaden aller.«
    »Auf eine gute Zusammenarbeit, Herr Direktor.«
    Sie drückte die dargebotene Hand. Es war ein fester Druck, was Dr. Schmidt mit Erstaunen feststellte. Auf ein Klingelzeichen holte Julie Spange sie ab und führte sie zum Block II. Nachdenklich sah ihnen der Regierungsrat vom Fenster aus nach. Morgen wird man ihr die Haare kurz schneiden, dachte er. Das wird ihr weh tun, seelisch weh … aber es ist Bestimmung. Und übermorgen wird sie ihre Außenstelle zugewiesen bekommen, die ›Pflegeeltern‹ über Tage. Er setzte sich wieder, griff nach einem Schnellhefter und überflog die Aufstellung der Moorbauern, die sich als Patenstelle erboten hatten. Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf.
    »Ja?«
    Emilie Gumpertz kam herein. Sie lächelte etwas einfältig und spielte nervös mit ihren Fingern.
    »Herr Regierungsrat, bitte zu verzeihen«, sagte sie mit einer öligen Stimme, die zu ertragen eine bestimmte Nervenstärke voraussetzte. »Aber ich habe den Neuzugang zufällig gesehen … Was ich schon immer sagen wollte … Ich könnte in der Küche noch eine Hilfe gebrauchen …« Sie hob die Hände, halb bittend, halb sich selbst abwehrend. »Natürlich nur, wenn der Herr Regierungsrat nicht schon eine Arbeitseinteilung getroffen hat.«
    »Das habe ich noch nicht.« Dr. Schmidt klappte den Schnellhefter mit den Patennamen zu. »Ich werde es mir überlegen, Frau Gumpertz –«
    Sie saß auf ihrem Bett, ließ die Beine baumeln und sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände. Es war ein richtiges, weiß lackiertes Bett, mit einer Roßhaarmatratze, einem Sprungfederrahmen, mit weißem Bettlaken, einem weißbezogenen Kissen und zwei weißen, dicken Wolldecken. Das Zimmer war geräumig und hatte ein großes Fenster mit einem herrlichen Blick über einen Birkenwald und einen Kanal, der mit schwarzem Wasser gefüllt schien. Ein Boot schaukelte darauf, mit eingezogenen Rudern. Hinter dem Kanal dehnte sich das Moor aus, harmlos wie eine Heide aussehend, tückisch und schweigsam, besetzt mit zerzausten Holunderbüschen und traurigen, knorrigen Weiden. Irgendwo stießen Himmel und Erde zusammen … man sah es jetzt nicht, die Vereinigung war vollkommen.
    Die Gitter vor dem großen Fenster störten nicht. Die Weite hinter ihm kam ins Zimmer, wenn man hinaussah, ja, es war mehr ein Gefühl der Geborgenheit hinter diesen Gittern, als das Empfinden, abgesperrt zu sein. Welch ein Vergleich zu dem kleinen, oben unter der
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