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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Glas mit Kirschlikör.
    »Für dich, Hilde«, sagte er fast feierlich, und hielt ihr das Glas entgegen. »Du hast eben einen weiten, weiten Sprung getan.«
    »Ich weiß.« Sie nahm das Glas und schloß die Augen. »Herr Regierungsrat … ich komme mir plötzlich ganz anders vor –«
    »Du bist auch anders geworden, Hilde.« Dr. Schmidt holte einen Zettel aus der Tasche und überflog ihn. »ich habe deine Konten durchgerechnet. Du hast in den Gefängnisjahren 378 Mark gespart von deiner Arbeitsentlohnung. Morgen holt dich Herr Heckroth ab und fährt mit dir in die Stadt. Dort kannst du dich neu einkleiden … denn am nächsten Sonntag ist Tanz in der Mühle. Da willst du doch hin, nicht wahr?«
    »Ja, Chef –« Hilde Marchinski würgte. Die Tränen machten ihren Blick feucht. »Ich … ich könnte Ihnen einen Kuß geben.«
    »Bloß das nicht.« Dr. Schmidt trat lachend zur Seite. »Vergiß nicht, daß wir trotz allem in einem Gefängnis leben. Und spar dir das alles für Sonntag auf. Aber …«
    Er hob die Hand. Hilde Marchinski nickte und nahm stramme Haltung an.
    »Ich weiß, Herr Regierungsrat. Man muß sich so benehmen, daß ›Mädchen im Moor‹ ein Ehrenname ist.«
    »Gut behalten.« Dr. Schmidt ließ die Hand sinken. »In zehn Minuten kannst du mir eine Tasse Kaffee ins Büro bringen. Wie immer mit Milch und –«
    »– und zwei Stückchen Zucker. Jawoll, Chef.«
    Es war ein Ruf, der wie Jubel klang und dick, ganz dick in Glück eingebettet war.
    Der Winter kam, Schnee trieb übers Moor, die Natur schlief. Und der Frühling kam, die Weiden bekamen Kätzchen, die Birken hellgrüne Spitzen, und über dem Moor stieg die erste Lerche in den blauen, von weißen Wolkenstreifen garnierten Himmel.
    Über dem Gut Wildmoor und dem erwachenden Moor lag der Gesang junger, heller Mädchenstimmen.
    Wie immer zogen die Kolonnen hinaus in die Öde, die so herrlich war. Vorweg Julie Spange, hinter ihr, in Dreierreihe, die Mädchen in den bunten Kopftüchern und den wippenden Röcken, mit fröhlichen Gesichtern und leuchtenden Augen.
    Im Hauptkanal warteten drei große Moorkähne. Diese bestiegen die Mädchen, und dann glitten sie hinaus auf das fast schwarze Wasser und hinein in die braungrüne Unendlichkeit, hinein in einen Himmel, der sie aufzusaugen schien und ihnen die Unwirklichkeit farbiger, über dem schwarzen Wasser tanzender Punkte verlieh.
    Heute leben 150 junge Mädchen auf Gut Wildmoor. 150mal Hoffnung, daß das Leben eine junge Seele noch nicht völlig zerstört hat, daß der Mensch fähig ist, durch Liebe und Vorbild andere Menschen zu erziehen, etwas, was so selten geworden ist wie das Gefühl, Gott nahe zu sein.
    Oft steht der junge Regierungsrat Dr. Schmidt am Fenster seines Dienstzimmers und sieht den wegziehenden, singenden Mädchen nach. Und er weiß: Dort, die Blonde, hat gestohlen, und dort, die Schwarze, hat gefälscht, und diese blasse, kleine Braune in der letzten Reihe war lange Zeit der Schrecken der Kaufhäuser. Vroni, die Fröhliche in der ersten Reihe, hat ihr uneheliches Kind ausgesetzt, und dort, Beate, hatte versucht, ihren Chef, der sie mißbrauchte, zu töten.
    Sie alle marschieren ins Moor, und sie singen und gehen dem Leben entgegen … weil wir, die satte Gesellschaft, die Moralisten vom Dienst, einen winzigen Platz auf dieser Welt haben, wo man verzeihen kann und verzeihen will und verzeihen wird.
    Verzeihen –
    Sagt mir ein Wort, das außer Liebe schöner klingt –
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