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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Vielen Dank, mein Fräulein!« sagte er sogar, und Dr. Schmidt betete im stillen, daß er nie erfahren möge, wen er so angeblinzelt hatte.
    Um die gleiche Zeit fuhr Fiedje Heckroth in Begleitung seiner Frau auf einem zweiten Moorkahn in das geheimnisvolle, nie betretene Zentralmoor. Warum er das tat, wußte er nicht zu erklären. Ein dumpfer Drang trieb ihn dazu, auch wenn ihn seine Frau Elga verrückt und spinnert nannte.
    »Ich kenne das Moor«, sagte er dumpf und stakte durch den kleinen Kanal, den auch Vivian hinuntergefahren war. »Man kann einen Menschen nicht abtun, wenn man nicht alles durchsucht hat. Und zu diesem Alles gehört auch das Satansland.«
    Satansland, so nannten die einheimischen Moorbauern das Zentralmoor. Satansland, weil es bereits in den vergangenen hundert Jahren zwanzig Menschen verschlungen hatte, die es gewagt hatten, das Geheimnis der Schilfwälder und Weiden zu lüften.
    Langsam glitt der flache, schwarze Kahn über das faulig riechende Wasser. Elga Heckroth saß am Heck und starrte hinüber zum Satansland.
    »Wo willst du denn suchen, Fiedje?« fragte sie nach langem Schweigen.
    »Überall.«
    »Sie haben es doch abgeflogen mit dem Hubschrauber.«
    »Hubschrauber!« Fiedje spuckte über Bord in das dunkle Wasser. »Und wo ist mein Boot? Na, wo ist es?! Beide können sie nicht weg sein … vor allem das Boot nicht! Und das finde ich! Verdammt nochmal!«
    Schmatzend glitt der flache Kahn über Wasser und Sumpf. Ab und zu hielt Fiedje Heckroth an und tastete durch ein Fernglas die Schilfwand vor sich ab. Er sah auch eine Gruppe Weiden mitten im Schilf und wußte, daß dort eine Insel war. Aber eine unerreichbare Insel, auch unerreichbar mit einem Boot.
    Vivian lag unter den Weiden und leckte die Feuchtigkeit vom Boden. Mit letzter Kraft hatte sie sich auf den Bauch gerollt und preßte nun das Gesicht gegen die nasse Erde. In kurzen Abständen verlor sie das Bewußtsein, erlangte es wieder und fiel dann wieder in die gnädige Besinnungslosigkeit.
    Sie starb langsam, aber es war kein schmerzhaftes Sterben. Sie löste sich auf.
    Der Körper verlor von Stunde zu Stunde mehr Kraft, er zerfiel, er vermoderte bereits, ohne begraben zu sein.
    Das Boot Fiedje Heckroths glitt langsam, Meter um Meter auf die dichte Schilfwand zu. Die Rohrdommeln flogen auf, Krähen kreischten schrill … irgendwo platschte ein Biber ins Wasser und rauschte davon.
    Fünfzig Meter lagen zwischen Vivian und Heckroth, fünfzig Meter Weg in die Ewigkeit.
    Der Moorbauer hielt an und beobachtete die Schilfwand wieder durch sein Fernglas. Er sah nur gegen die dichten Halme … hinter ihnen verging ein junges Leben. Der Tod verstand es, sich abzuschirmen und zu verstecken.
    Elga Heckroth schüttelte den Kopf, als Fiedje statt der Stoßstange ein flaches Paddel ergriff und versuchte, mit dem flachen Kahn in das Schilfdickicht einzudringen.
    »Das ist doch Dummheit!« sagte sie laut. »Überleg doch mal – wie soll Vivian hierhinkommen? Dann müßte der Kahn doch da sein!«
    Fiedje Heckroth hob das Paddel und zeigte auf einen Schwarm Krähen, die kreischend die Weidengruppe im Schilf umkreiste.
    »Da ist etwas! Verlaß dich drauf. Guck dir doch die Viecher an –«
    »Biber werden's sein, was sonst?«
    »Oder ein Mensch, der … der –« Heckroth schwieg. Elga wußte, was er nicht aussprechen wollte.
    »Und wenn wir den Kahn aufschlitzen? Wenn wir absaufen?« Elga kletterte durch das Boot nach vorn zu Fiedje. »Mann, denk an die Kinder! Es ist sowieso Blödsinn, hier im Satansland herumzufahren. Keiner tut das!«
    »Die Krähen! Verdammt! Da ist etwas!« Fiedje kratzte sich den Kopf und schob die Mütze in den Nacken. Er schwitzte, die Sonne brütete über dem Moor, die Feuchtigkeit dampfte und umhüllte sie mit einem Nebel der nach Fäulnis roch. Trotz des hellen Tages lag Unheimlichkeit über diesem stillen Land.
    »Hallo!« schrie Fiedje und legte die Hände zu einem Trichter an den Mund. »Hallo! Ist da wer?!«
    Vivian lag auf dem Bauch und hörte die ferne, ferne Stimme. Ein Mensch, dachte sie. Da ist ein Mensch. Ein Laut ist da. Jemand ruft. Sie suchen mich … ich werde gerettet … gerettet –
    Sie konnte sich nicht mehr rühren. Ihre Knochen waren wie aufgeweicht, ihr Fleisch bereits ein Teil der modrigen Erde. Sie war schon körperlich verwest, nur das Hirn dachte noch, dieses schreckliche Hirn, das solange denkt, wie das Blut es durchpulst.
    Sie wollte schreien, aber auch dazu fehlte jede Kraft. Nicht einmal
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