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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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Aber die Chinesen stehen noch auf den Sitzen, um Gepäck zu verstauen, rennen, ihre Plätze tauschend, zwischen der 1. und 2. Klasse hin und her und schreien von der letzten Reihe nach vorn zur ersten.
    Auch als sich die Stewardessen zur Begrüßung tief verbeugen, beachtet sie keiner. Stattdessen telefonieren die Chinesen, fotografieren sich gegenseitig oder drängeln noch einmal zur Toilette. Ich aber bin fasziniert vom Aussehen der Stewardessen und denke – obwohl ich das nur im Fernsehen erlebt habe – sofort an Pekingoper. Die schlanken Frauen in ihren dunkelroten Kostümen haben die schwarzen Haare so straff zu einem Knoten nach hinten gebunden, dass ihre, den antiken Statuen ähnelnde, hohe Stirn hervorgehoben wird. Die Augenbrauen sind abrasiert und hauchdünn nachgezogen, die Lippen wie bei einer Maske grellrot geschminkt und die Krägelchen ihrer Jacken rot, schwarz und golden gestreift.
    Nach dem Start um 18.25 Uhr – in China ist es 1.25 Uhr – werden die Passagiere auf allen Bildschirmen mit den touristischen Höhepunkten Chinas begrüßt: der aus Felssteinen gefügten großen Chinesischen Mauer, den goldverzierten buddhistischen Tempeln, den in der Sonne funkelnden Wasserfällen, den vom Grün der Teeblätter bedeckten Bergen. Dazwischen werden die an Bord üblichen Preise für amerikanische Zigaretten, französisches Parfüm und Schweizer Schokolade eingeblendet.
    Mein Nachbar ist ein sehr schmächtiger Chinese. Er will den durch Fingerberührung zu bedienenden Bildschirm ausschalten,schafft es nicht und bittet mich in fließendem Englisch um Hilfe. Doch weder mein technisches Verständnis noch meine bruchstückhaften Kenntnisse der Weltsprache reichen aus, um mit ihm das Problem zu lösen. Er versucht mir die Ungerechtigkeit klarzumachen, dass die Sprache, die 1,3 Milliarden Menschen, also jeder Fünfte auf der Erde spricht, so bedeutungslos ist, dass ein Chinese, um verstanden zu werden, Englisch, also die Sprache der dadurch die Welt bestimmenden und manipulierenden USA beherrschen muss. Er schaut mich ungläubig an und begreift nicht, dass es in Deutschland noch Menschen gibt, die sich nicht fließend Englisch verständigen können. Obendrein wenn sie nach China reisen.
    Ansonsten verstehen wir uns während des 9 Stunden dauernden Nonstop-Fluges sehr gut. Er stellt sich als Xiao Wang (Kleiner Wang) vor, rückt, wenn ich meinen Ellenbogen auf der gemeinsamen Sitzlehne platziere, höflich weiter zur Seite, reicht mir, damit ich bequemer sitze, zusätzlich sein rotes mit der goldenen Lotosblume verziertes Kissen, sucht den Stift, der mir hinuntergefallen ist, und klappt zuvorkommend meinen Esstisch herunter.
    Die schönen, sich graziös bewegenden Stewardessen servieren, nein, sie zelebrieren schon kurz nach dem Start das erste warme Essen. Jedem wird mit einem vollendeten, wie echt wirkenden Lächeln ein großes, warmes, feuchtes Stofftuch gereicht. Weil es sich mein Nachbar wie die anderen Chinesen, anhaltend laut und genüsslich stöhnend, auf das Gesicht legt und erst danach die Hände damit abwischt, mache ich es ebenso. Und atme sehr tief und sehr lange den Jasmin-Blütenduft einer fremden Welt ein.
    Eine Stewardess, die dabei wie ein kleines Kind singt, sammelt die Tücher wieder ein, die zweite serviert das Essen. Ich möchte Reis mit Huhn in Curry. Aber sie versteht mich nicht, und ich bekomme Gulasch mit Kartoffeln. Die Dritte bietet roten oder weißen Wein (ohne Zuzahlung!) an undschenkt mir, weil ich sehr schnell ausgetrunken habe, unaufgefordert noch einmal lächelnd nach.
    Gegen 4 Uhr chinesischer Zeit wird das Kabinenlicht gelöscht. Auf dem Bildschirm jagen CIA-Agenten russische Mafia-Banden …
    Auch Chinesen schnarchen. Damit meine Gedanken endlich einschlafen können, hätte ich wahrscheinlich noch ein drittes Glas vom roten chinesischen Wein trinken sollen. Immer wieder frage ich mich, was ich über meinen Pekinger Gastgeber Klaus Schmuck weiß. Nur, dass er im Erzgebirge aufgewachsen ist, danach in Moskau Außenpolitik mit der Spezialisierung China studiert, ein Praktikum in der DDR-Botschaft in China absolviert und ein Sprachstudium an einer Pekinger Uni beendet hat. Dass er zur Wende im DDR-Außenministerium in Berlin arbeitete, danach ein Westberliner Pharmaziehandelsunternehmen auch in Russland vertrat und schließlich, weil er in Deutschland keinen Job mehr bekam, vor 11 Jahren mit seiner Freundin, die er inzwischen geheiratet hat, nach China ging, sich zuerst mit
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