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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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zurückerhalten. Ich setze mich abseits vom Eincheckschalter auf eine der wenigen Bänke im Flughafenrondell.Ein junges chinesisches Paar rückt zur Seite. Sie packt eingeschweißte Wiener Würstchen aus, er nimmt aus seiner Tasche in Plaste eingepackte Brötchen. Sie beißen zaghaft in die Würste, kauen dann sehr schnell. Als sie die Brötchen herausholen, deren Festigkeit zwischen Daumen und Zeigefinger prüfen und den ersten Biss machen, lese ich auf der Verpackung, dass die Brötchen vor dem Verzehr noch 15 Minuten gebacken werden müssen. Ich versuche, es den beiden zu erklären. Irgendwann begreifen sie das für sie Unbegreifliche, wollen zwar nicht verstehen, dass man eingepackte Brötchen nicht essen kann, lächeln dann aber dankbar.
    Ich erinnere mich an eine der ersten Geburtstagsfeiern meiner Mutter nach der Wende. Sie stellte auf den mit Kerzen geschmückten Tisch nicht nur, was zuvor unmöglich gewesen war, einen Strauß Rosen (am 8. Januar!), sondern kredenzte auch, wie sie stolz verkündete, einen besonderen mit Mohn verfeinerten Quarkkuchen einer Markenfirma aus dem Westen. Alle lobten Mutters Kaffee und den nassen Kuchen. Als die ersten Gäste sich schon das zweite Stück nahmen und Mutter sagte, dass sie ihn aus der Gefriertruhe im Supermarkt geholt und nur noch auftauen musste, ich aber den ersten Bissen immer noch nicht heruntergeschluckt hatte, ging ich in die Küche und suchte im Mülleimer die Verpackung. Darauf stand, dass der Kuchen nur noch zwanzig Minuten bei 175 Grad … Ich habe damals – wie gesagt, es war gleich nach der Wende – lange überlegt, aber dann gedacht, dass der Kuchen in diesem Zustand vielleicht gesundheitsschädlich wäre, und alle mit der Neuigkeit überrascht, dass auch ein eingeschweißter Marken-Kuchen aus dem Westen noch fertig gebacken werden muss.
    Der Passbeamte hat seine Kaffeepause beendet und setzt sich nun gutgelaunt in seine Buchte. Während er ihre Pässe kontrolliert und stempelt, quatscht er die Chinesen, ob sie Deutsch verstehen oder nicht, unentwegt an. Einen sehr Pausbäckigen frotzelt er: »Auf dem alten Foto siehste abernoch mager, um nicht zu sagen verhungert aus. Inzwischen auch Millionär geworden und zu viele Peking-Enten gegessen, oder?« Noch nachdem er zwei weitere Chinesen kontrolliert hat, lacht er über seinen Witz.
    Wegen der Verzögerung bei der Passkontrolle bleibt nur noch wenig Zeit bis zum »Boarding«. Zwar bringe ich für den Erzgebirgler Klaus Schmuck, der mich nach Peking eingeladen hat und bei dem ich wohnen werde, schon Kräuterschnäpse und Thüringer Würste mit, doch ich denke, dass es nicht schadet, im Duty-Free-Shop (der oft teurer als ein deutscher Supermarkt ist) vorsichtshalber noch eine Literflasche polnischen Büffelgrasschnaps zu kaufen. Als ich bei der Kasse stehe, stürmen an die dreißig Chinesen den Laden. In Windeseile und sich laut anschreiend, stapeln sie, ohne auf die Preisschilder, sondern nur auf die Marken zu achten, Parfüm, Alkohol und Schokolade in ihren Korb und stellen sich danach wie selbstverständlich ganz vorn an die Kasse. Durch ihr Überrumpelungsmanöver bekomme ich meinen ersten Körperkontakt mit Chinesen. Anschließend kämpfe ich mich, der zuvor an der dritten Stelle stand, mit Ellenbogen und Händen schiebend, wieder bis an die zehnte. Nachdem alle abkassiert sind, sagt mir die Verkäuferin, dass es heute noch sehr gesittet zugegangen ist. Manchmal würde kurz vor dem letzten Aufruf eine halbe Flugzeugladung Chinesen in den Regalen wühlen, die sich dann an der Kasse, schreiend und gegeneinander kämpfend, vordrängelten.
    Ich frage, ob sie sich auch um den Vortritt prügeln.
    »Nein, eine Schlägerei habe ich noch nicht erlebt. Sie sind einzeln sehr höflich und friedlich, die Chinesen. Nur in der Masse kennen sie keine Benimmregeln.«
    Im Flugzeug muss ich durch die 1. Klasse gehen, um nach hinten zu kommen. Die großen roten mit der goldenen Lotosblume, dem Symbol der Hainan-Airline, geschmückten Plüschsessel stehen so weit voneinander entfernt, dass mansie bequem zum Schlafen umfunktionieren kann. Über den Sitzen in der 2. Klasse – sie scheinen von den amerikanischen Boeing-Erbauern extra für kleine, schmale Chinesen konstruiert worden zu sein – leuchten, kaum dass ich sitze, die Zeichen für »Anschnallen« und »Rauchen verboten!«. Und auf den individuellen Bildschirmen, die an jeder Rückenlehne angebracht sind, kann man sich die Sicherheits- und Rettungsübungen ansehen.
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