Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht: Thriller (German Edition)

Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Macht: Thriller (German Edition)
Autoren: David G.L. Weiss
Vom Netzwerk:
war perfekt geeignet für feinmotorisches Arbeiten in totaler Dunkelheit. Aber gerade darum verdammt lichtempfindlich.
    Wie eine Waffe hielt Ewald jetzt seine Lampe den Angreifern entgegen. Er machte einen Schritt nach vorne und rutschte auf einer glitschigen Pfütze aus. Ewald stockte der Atem. Auf dem Boden, an seinen Schuhen, sogar an seiner Hose, überall war Blut. Und vor seinen Füßen lag mit weit aufgerissenen Augen und durchschnittenem Hals sein Cousin Jens.
    Wie vom Blitz getroffen, rannte Ewald los. Hinaus auf den Gang, die Treppen nach oben. Er stieß mehrmals mit dem Kopf gegen eine der herunterhängenden Deckenleuchten, blieb aber nicht stehen. Im Dunkel hinter ihm stampften Armeestiefel und sie drohten ihn einzuholen. Ewald presste sich durch die Bunkertür und stemmte sich mit dem Rücken dagegen. Mit aller Kraft drückte er sie ins Schloss und sprintete weiter, durch den weiß gefliesten Gang dem Einstiegsloch entgegen. Er steckte sich die Taschenlampe in den Mund, sprang an dem Seil hoch und zog sich nach oben ins Freie. Den Strick schnitt er gerade noch mit seinem Taschenmesser durch.
    Ewald rollte sich auf den Rücken. Über ihm leuchteten die Sterne. Es war still. Ewald hörte nicht einmal den eigenen Atem. Berlin hatte sich ins Weltall aufgelöst. Ewalds Finger waren nass und klebrig, aber er spürte nichts. Er schwebte in einer seidigen Brise. Grüne Augen beugten sich wie in Zeitlupe über ihn. Eine harte Hand in Handschuhen packte Ewalds Gesicht und drehte es hin und her. »Mannsbilder gibts fei gnua. Richtige Kerle wenig«, sprachen die grünen Augen. Dann wurde es finster.
    Als am frühen Morgen die Kampfmittelbeseitiger der ehemaligen Westberliner Polizei und des aufgelösten Munitionsbergungsdienstes der DDR das Gelände erneut abgingen, um es für das Konzert am Abend freizugeben, stießen sie auf den offenen Zugang zum Fahrerbunker der Neuen Reichskanzlei. Spuren von den vier Jugendlichen fanden sie nicht.
    »The Wall« wurde in zweiundfünfzig Länder übertragen. Die 250 000 Besucher mit Eintrittskarten, und die 100 000 ohne, die den Fall der Berliner Mauer zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz feierten, ahnten nicht, was unter ihren tanzenden Füßen verborgen lag, oder was dort geschehen war.
    Nur zwei Tage nach seiner Entdeckung wurde der Zugang zum Fahrerbunker zugeschüttet, und seine Existenz weitgehend vor der Öffentlichkeit verschwiegen.
    Aber es war bereits zu spät, die Geister der Vergangenheit gingen wieder um.

1
    Frankfurt am Main, 20. Juli 2012
    J osephine Mahler fuhr wie jeden Tag mit dem Fahrrad in ihr Büro auf dem Unicampus Westend. Egal ob Samstag, Sonntag oder Feiertag, Josephine saß an ihrem Schreibtisch. Dieses Jahr am 8. April, Ostersonntag, waren genau zwei Menschen im Poelzig-Bau der Goethe-Universität gewesen, der Portier und Doktor Josephine Mahler vom Institut für Ethnologie. Böse Zungen behaupteten, Josephine lebte nicht von ihrem Beruf, sondern für ihn.
    Josephine Mahler trat in die Pedale. Sie überholte einige dieser älteren Radfahrerinnen, die gemächlich dahinrollten und erst kurz vor dem Umfallen zu treten schienen. Die schnieken Gründerzeitfassaden im Westend glitten links und rechts vorbei. Vor nicht allzu langer Zeit, hatten die Kollegen an der Uni erzählt, waren diese geschmackvollen Eigenheime besetzte Häuser gewesen. Alternative Idealisten hatten die Gebäude in Besitz genommen und vor dem Abriss bewahrt, ganz vom Geist der 68er durchdrungen. Vor der umfassenden Revitalisierung und Renovierung waren die Bewohner durch die Instanzen geklettert. Und ihre geistigen Führer waren in Turnschuhen in den Bundestag eingezogen, um ihn ein paar Legislaturperioden und Kriegseinsätze später im Maßanzug in Richtung Privatwirtschaft wieder zu verlassen. Die Zeit heilt alle Wunden, schmunzelte Josephine und riskierte einen Blick durch die Fenster in die Welt aus »Schöner Wohnen«. Sie sah Lüster, Bücherwände und Zimmerpflanzen. Und plötzlich stellte sie sich vor, wie sich in einem dieser Salons eine verzweifelte Mutter die Haare raufte und ihre markenaffine Teenagertochter auf dem Sofa anbrüllte: »Tu endlich etwas außerhalb von Facebook! In deinem Alter bin ich gegen Leute wie mich auf die Straße gegangen!«
    Ein Radfahrer in Krawatte und Anzug schnaufte rechts an Josephine vorbei. Sie erlebte das beinahe täglich, kannte die Situation schon zur Genüge. Es gab einen bestimmten Typ Mann, der es nicht ertragen konnte, von einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher