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Macht: Thriller (German Edition)

Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Macht: Thriller (German Edition)
Autoren: David G.L. Weiss
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Frau mit dem Fahrrad überholt zu werden. Schon gar nicht, wenn sie einen Rock und Stöckelschuhe anhatte. Mahler schüttelte den Kopf und flüsterte: »Natürlich! Gleich greifst du nach hinten, ob deine superschicke Aktentasche noch da ist. Dann fällst du fast um und bist mir im Weg …«
    Vor der nächsten Kreuzung kam der Mann tatsächlich ins Trudeln. Seine rechte Hand tastete nach der Ledertasche in seinem Rücken. Er verlor das Gleichgewicht, scherte aus und kam quer auf der Fahrbahn zum Stehen. Zu seinem Glück fuhr gerade kein Auto die Straße entlang. Freudig stellte er unmittelbar und an Ort und Stelle sicher: Die Tasche mit dem Laptop ruhte auf dem Gepäck träger.
    »Ja geht’s noch?« Mahler machte eine Vollbremsung. Um ein Haar wäre sie in Mann und Fahrrad gekracht.
    Der Typ mit dem Gelatinehaar maulte etwas. Die Wörter »blöde Tussi«, »Tomaten« und »auf den Augen« kamen darin vor.
    Josephine verstand in ihrer Schrecksekunde lediglich, dass es nicht besonders nett gewesen war, was ihr Gegenüber in schnoddrigem Ton von sich gegeben hatte. Eine unsägliche Wut stieg in ihr auf. Und schon im nächsten Augenblick zischte sie: »Geh scheißen!«, bugsierte ihr Fahrrad um die Beinahe-Unfallstelle herum und gab dem Drahtesel die Sporen. Der Kontrahent blieb mit entgleisten Gesichtszügen zurück. Mit einem Konter im breitesten Wienerisch hatte er in der hessischen Bankenmetropole nicht gerechnet. Und schon gar nicht von der zierlichen Person mit den hennaroten Locken und diesem süßen Po. Seufz.
    Mahler knallte die Bürotür zu. Der Tag fing ja gut an. Sie rührte ihre Tasse Instantkaffee braun und sämig, ließ sich auf den Sessel fallen und lutschte den Löffel ab. In Wien hätte sie so etwas nie getrunken. Aber das aromatische Heißgetränk unten in der Mensa, das die Damen hinter der Kasse Kaffee mit drei f nannten, war zum einen überteuert und darüber hinaus ungenießbar. Josephine nippte an ihrem Gebräu, legte die Füße hoch und runzelte die Stirn mit Blick auf die Wanduhr. Die Einrichtung ihres Büros war spartanisch. Zwei Schreibtische, zwei Stühle und weiße Regale voll mit Ordnern und Büchern in Reih und Glied. Zwei Topfpflanzen verdursteten auf dem Fensterbrett, eine Grünlilie und ein Anthurium Scherzerianum . Keine Bilder oder Poster an den Wänden, keine lustigen Sprüche oder glupschäugigen Tierfiguren irgendwo. Vom Mädchengetue so mancher Kollegin bekam Josephine Sodbrennen und bei durchgestylten Studentinnen, den »Friseurinnen«, schliefen Mahler die Füße ein. Ihrer Bürokollegin mit Dreadlocks und Turban, die zwischen den Lehrveranstaltungen mit Vorliebe im Lotussitz auf dem Fußboden meditierte und dabei laut, falsch und hingebungsvoll »Om mani padme hum« und andre Mantras sang, hatte sie schnell klargemacht, wessen Büro das hier war und wer in Zukunft besser daheim arbeitete. Keine Ablenkungen von der Arbeit! Nur ein Fotokalender mit Ansichten von Wien über dem Arbeitsplatz. Jeden Monat ein anderes Postkartenklischee. Stadt der Dome, Stadt am Strome. Ein Weihnachtsgeschenk von daheim.
    Wien, räsonierte Mahler beim Ansehen des Kalenderbilds der Karlskirche, das war lange her und weit weg. Zum Glück. »Dreh dich nicht um, Frau Lot«, murmelte sie halblaut und leerte die Kaffeetasse in einem Zug. Nie wieder Wien, nie wieder Österreich, das hatte sie sich geschworen, als sie von daheim weggegangen war. Ihre Landsleute litten ihrer Erfahrung nach unter dem Manko, im entscheidenden Moment einzuknicken. Die besten Beweise lieferte ihr der internationale Fußball. Die heimischen Legenden um diesen Sport rankten sich seit den 1950er-Jahren nur noch um glorious defeats , ruhmreiche Niederlagen wie die spartanische bei den Thermopylen, die amerikanische in Fort Alamo oder die österreichisch-sächsische vor Königgrätz, wo der Hase sowieso und überhaupt im Pfeffer lag. Die meisten erlitten in der Verlängerung, buchstäblich in der letzten Minute nach flankengöttlichem Spiel. Josephine war sich bei all ihrem aufgestauten Ärger allerdings durchaus bewusst, dass ihre Enttäuschung weit persönlichere Ursachen hatte, tiefer saß und nichts mit Trikots, Waden oder Rasen zu tun hatte.
    Nach exakt fünfminütigem Verschnaufen fuhr sie ihren Laptop hoch und las wie jeden Morgen ihr Tageshoroskop auf kurier.at . Ein Blick in den historischen Kalender verriet allerhand Interessantes. An zwei Ereignissen blieb Josephines Aufmerksamkeit hängen, an dem vor 68 Jahren
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