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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht
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mit einem Knall eine über meine Hand kriechende Kakerlake tot, aber es stellte sich heraus, dass es ein Muttermal war. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man noch etwas trinken will und genau weiß, es gibt nichts mehr. Das ist wie ein Schrei an der Grenze zur Hysterie. In solchen Augenblicken ist ein Mensch fähig, mit einer Axt seine eigene alte Mutter zu erschlagen.
    Am nächsten Morgen brachte man uns ins Gericht. Der Posten mit der Pistole in der aufgeknöpften Pistolentasche stellte sich so auf, dass er den Weg zu allen Ausgängen und Fenstern gleichzeitig versperrte. Vielleicht fürchtete er, dass der Penner und die bebrillte Frau mit den noch in Freiheit gebliebenen kolumbianischen Drogenbaronen in Verbindung standen? Meine Arme zitterten leicht. Die Vibration begann im Bizeps und trat durch die Fingernägel nach draußen.
    Die Richterin war eine ganz junge Frau. Sie hatte verschlafene, ungeschminkte Augen. Die Schriftführerin sagte laut und deutlich: »Stehen Sie auf! Der Prozess beginnt!« Der Satz klang seltsam in dem schäbigen, staubigen Saal. Die Richterin blätterte im Protokoll unserer Festnahme und verkündete, ohne aufzublicken: »Jeder zahlt fünf Dollar Strafe.«
    Ich wollte erklären – irgendwelche drohenden, gewaltigen Worte sprechen. Ich stand auf, sagte »Ähem«, wurde verlegen und setzte mich wieder.
    Ich weiß nicht, was Gleb gemacht hat, aber ich habe meine Strafe nicht bezahlt. Ich zerriss die Quittung und dachte nie wieder daran. Wir verließen das Gebäude, schüttelten einander die Hände und fuhren nach Hause, um uns auszuschlafen. In den Pfützen tobten ausgelassen die Sonnenhäschen. Die Hasenmutter schaute über die Dächer hinweg streng zu. Neben der Trolleybushaltestelle ragte aus dem nassen Rasen ein schwarzer Busch. Wie eine Schülerin mit Pickeln war der Busch mit aufblühenden Knospen übersät. Seine Zweige erinnerten an wollüstig gespreizte Beine.
    In der Luft schwebte ein seltsames, schweres Aroma. Vielleicht duften so die Sandelbäume, für die der warme, am Ufer des Indischen Ozeans liegende Staat Goa berühmt ist?

Zweite Geschichte
Von meinem Schätzchen, meinem
Pfannküchlein und Zuckerplätzchen
    M it fünfzehn hatte ich eine seltsame Phobie. Ich hatte Angst, es könne, wenn ich erwachsen wäre, keine Musik mehr auf der Welt geben, die mir gefiele. Die Gruppen werden zerfallen, die Lieder vergessen sein, und ich muss in einer absolut fremden Welt leben. Das Gefühl eines Frosches, der befürchtet, sein Tümpel trocknet aus.
    Damals hörten die Leute nicht Radio, sondern Alben. Können Sie sich vorstellen, wie lange das her ist? Ich bin zur Schule gegangen, als gerade »Never Mind The Bollocks« von den Sex Pistols herauskam, und habe sie beendet, als Depeche Mode »Black Celebration« aufnahmen. Zu »Joshua Tree« von U2 habe ich versucht, ans Institut zu kommen. Als The Cure »Desintegration« herausbrachte, habe ich es zum zweiten Mal versucht. Dann habe ich die Versuche eingestellt. Bis unmittelbar zu »Into The Labyrinth« von Dead Can Dance war ich dann nur hinter den Mädchen her, habe Alkohol getrunken und bin durch die Welt gegondelt. Hin und wieder habe ich sehr vorsichtig leichte Drogen genommen.
    Es versteht sich, dass ich die russische Musik nicht mochte. Wer von den Modegecken meiner Generation hätte wohl zugegeben, dass sie überhaupt existierte? Es gab allerdings Ausnahmen. Aber wirklich radikal hat sich die Situation erst in diesem Sommer geändert.
    Der Sommer fiel heiß aus. Vielleicht war es der heißeste des Jahrhunderts. Die Stadt roch wie gekochter Fisch. Die Verkäufer von Eis und kaltem Bier wurden in drei Tagen zu Millionären. Das tropische Wort »Siesta« füllte sich mit tiefem Sinn. Ein Mann im Anzug konnte nur ein ausländischer Spion sein. Die streunenden Hunde lagen in letzter Agonie in den ausgetrockneten Pfützen. Die Männer tranken eimerweise Bier – widerliches, warmes Bier. Den stillenden Müttern lief die Milch gleich als Sauerrahm aus der Brust. Manche liefen sogar auf dem Newski barfuß. Ich versuchte es auch und verbrannte mir dabei derart den Fuß, dass ich drei Tage nicht aus dem Bett kam. Unterhosen trage ich im Sommer nicht. Im Bus und in der Metro klebte mir der Hintern wie angepappt an den kochend heißen Ledersitzen. Ich verzankte mich für immer mit einer Bekannten, die mich auf der Straße aus Jux an der Hand zu nehmen versuchte. Sex war absolut unmöglich. Man erhaschte einen frischen Luftzug auf dem
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