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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht
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meine ich. Und als ich damit fertig war, hat der Abt sich einen neuen Schiguli gekauft.«
    »Im Ernst?«
    Wir saßen unter einem Plakat, das verkündete, die persönliche Sicherheit der Passagiere werde von der Regierung der Republik Malaysia garantiert. Die Lehne des Plastiksessels drückte unangenehm gegen die Schulterblätter.
    »Ich wäre gern mal Lama.«
    »Es würde dir nicht gefallen.«
    »Warum?«
    »Die Lamas leben im Zölibat. Es würde dir nicht gefallen.«
    »Totales Zölibat?«
    »In der Regel ja. Obwohl – wie soll man sagen? Es ist unterschiedlich. Manchmal kommt irgend so ein Burjatenmuttchen, um zu beten ... Na, und beten tut sie dabei wohl auch noch.« Wir schwiegen.
    »Gehst du zu deiner Frau zurück?«
    »Werd‘s versuchen.«
    »Und wenn sie nicht will?«
    »Jetzt wird sie wollen ... Wahrscheinlich ...«
    »Wenn sie will, dann bleib auch.«
    »Verschon mich mit deinen Weisheiten.«
    »Ich werde es mal so sagen. Willst du ein religiöser Mensch sein?«
    »Und?«
    »Sei es! Der Lama spielt dabei keine Rolle. Sei es einfach.« Von irgendwoher schwebte plötzlich der Duft von frischem Gebäck. Ich dachte daran, wie meine Frau früher jeden Morgen zum Frühstück Blini gemacht hatte – Brötchen hatte sie auch gebacken – leckere rotwangige Brötchen – die hatte ich früher so geliebt. Meine Frau liebe ich bis jetzt. Bestimmt liebe ich sie – obwohl, was bedeutet dieses blöde Wort schon?
    Ich zog die Winterjacke über das T-Shirt. Der harte Pelz piekste in die nackten Ellbogen. Ich fühlte mich warm und sicher. Als würde mir jemand über den Kopf streichen. Als würde endlich alles gut.
    »Die Passagiere des Lufthansaflugs 3864 nach Frankfurt werden gebeten einzusteigen.«
    Ein Laufband. Weiße Pfeile auf blauem Grund. Ein Verbotsschild NO SMOKING. Verstopfte Ohren beim Start.
    Haben Sie einmal gesehen, wie Fotos entwickelt werden? Zuerst schwimmen auf dem Papier nur trübe Flecken. Dann erkennen Sie plötzlich das Bild. Diese Silhouetten erkannte ich schnell. Wir waren längst gute Bekannte. Geldmangel ... Eine Frau, die meinen Nachnamen in ihrem Pass nicht leiden kann ... Eine Arbeit, die ich nicht leiden kann ...
    Ich kehrte nach Hause zurück.
    Zehntausend Meter unter meinem Sitz glitt Asien vorbei. Drei Milliarden mir unbekannter Menschen. Niemals im Leben würde ich sie mehr sehen. Vielleicht wurde irgendein grauhäutiger Mann in dieser Minute von seiner grauhäutigen Frau verlassen.
    Durch den Gang schritten ohne Hast die schönen Fräulein der Lufthansa. Wunderbare, alles verstehende Frauen. Sie verteilten das Abendessen. Bis sie bei mir waren, würde es noch eine Weile dauern. Ich lehnte mich im Sitz zurück und schloss die Augen. Unklare, aber behagliche Bilder schwebten vorbei.
    Ich war zwölf Jahre. Ich saß auf dem Sofa und unterhielt mich mit meinem Vater. Und plötzlich wurde mir klar, wie alt er war. Wie! Alt! Er! War! Ich schaute in das vertraute Gesicht wie in eine Totenmaske. Das Leben nach dreißig erschien mir, dem Schüler, so unglaublich wie der Schnee des Himalaja. Mein Vater sagte etwas, und ich hatte Lust zu brüllen und mit den Füßen auf den Boden zu trampeln. Welches Recht hatte dieser Mensch, mich zu belehren, wo er doch sein Leben schon gelebt hatte?! Er hatte irgendwas getan, nach irgendwas gestrebt – und jetzt war alles vorbei! Wozu hatte er sein Leben SO vertan?!
    Nicht mehr allzu lange, und der Augenblick würde kommen, in dem ein winziger Nichtsnutz mit dem gleichen Entsetzen in mein Gesicht blicken würde. Und ich hatte nicht das mindeste Gefühl, irgendwas erreicht zu haben. Vor fünfzehn Jahren hatte ich T-Shirts mit der Visage von Sid Vicious auf der Brust getragen. Ich trage sie heute noch. Mehrere Imperien sind zusammengebrochen, Kontinente auf dem Grund der Ozeane versunken. Aber ich bin wie immer besoffen, blöd und nirgends angekommen.
    Als meine Frau schwanger war, kaufte ich ihr eine Police für eine teure Entbindungsklinik. Damals konnte ich mir das noch leisten. Die Bedingungen sahen vor, dass ich das Recht hatte, während der Geburt bei ihr zu sein. Ich wartete auf diesen Moment. Stellte mir vor, wie ich den zitternden kleinen Körper auf die Arme nehmen würde. Mein eigenes, einen Augenblick zuvor geborenes Kind.
    Der Tag, an dem ich Vater wurde, ist mir summarisch in Erinnerung. Ein gekachelter Korridor. Mit verkrustetem Blut beflecktes Wachstuch. Man gab mir einen knisternden, weißen Kittel. Die Hand meiner sich krümmenden Frau war nass
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