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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht
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darauf, WANN das alles passiert sein mochte.
    Sicher, dreißig Jahre sind schon eine Menge. Und ich bin nicht mehr der, der ich mal war. Ich erinnere mich, als ich gerade anfing, als Journalist zu arbeiten, brachte ich mein Material ständig nach Moskau. Dort wollte der erste Redakteur in meinem Leben wissen, ob man in Petersburg das Bier Afanassi kaufen könne. Er fragte, ob ich es probieren wolle. Für den Anfang kauften wir eine Kiste.
    Fünf Tage später wurde dem Redakteur mitgeteilt, wenn ihm etwas an seiner Stellung liege, wäre es nicht schlecht, wenn er mal zur Arbeit erschiene. Noch eine Woche später setzte uns die Frau des Redakteurs auf die winterliche Moskauer Straße. Und was war? Als ich nach dreiwöchiger Abwesenheit schließlich nach Hause kam, war ich schon am nächsten Tag wieder imstande, mich an den Computer zu setzen. Ein wenig beunruhigten mich die über den Monitor laufenden Kakerlaken – aber das war auch alles!
    Und jetzt?
    Ich ging in den Garten. Schlenderte über das Gelände des Kongress-Centers. Ich musste dringend etwas unternehmen. Vielleicht irgendwohin fliehen. Vielleicht nach Hause, nach Sankt Petersburg.
    Ich ging zum Tor und stolperte auf die Straße hinaus. Hob die Hand, stoppte einen Jeepney. Wohin ich wolle? In den Blicken der Kuala Lumpurer las ich Verachtung. Ich begriff, jetzt hätte ich aufstehen, mich räuspern und entschuldigen müssen. Als es unerträglich wurde, noch länger sitzen zu bleiben, stieg ich aus. Senkte und hob mich zusammen mit den engen Straßen. Erkannte dann den Platz und die Moschee. Eben die, die ich am ersten Tag gesehen hatte.
    Mein Gott, wann war das? Und ist das wirklich mir passiert? Und ist es überhaupt passiert?
    An Leinen hing gruselig aussehende Wäsche. An den Hauswänden saßen würdige, grauhäutige Greise. Nackte Kinder von undefinierbarem Geschlecht liefen herum. In einer über den Fluss gespannten Hängematte wurde immer noch geschlafen. Alles stimmte. Die Pagode des buddhistischen Klosters Sumbun ragte immer noch über die Hausdächer.
    Ich stand lange vor der kleinen Treppe, die zur Tür führte. Dann stieg ich hinauf. Unter dem Vordach hing Kühle. Die Tür war verschlossen. Ich hockte mich hin, lehnte mich mit dem Rücken an die Tür und rauchte eine Zigarette. Mein Körper zitterte unter der Haut wie Marmelade. Ich zog ein letztes Mal am Türgriff, ging hinunter und bog um die Ecke.
    Das Geräusch meiner Schritte war sogar im benachbarten Königreich Thailand zu hören. Doch Buddha reagierte nicht. Seine Augen waren geschlossen, seine Hände ruhig, sein Gesicht undurchdringlich.
    Ich griff nach meinen Zigaretten, überlegte es mir aber wieder anders. Warum nur hatte er diese geschlossenen Augen?
    »Hör mal, das ...«
    Ich sagte das laut. Auf Russisch. Wunderte mich über den Klang der eigenen Stimme.
    »Buddha! Hörst du mich?«
    Langsam, nicht sehr überzeugt, ging ich in die Hocke. Berührte mit den Knien die Erde.
    »Hör mich an, Buddha. Hör mir zu, und ich versuche zu reden, okay?«
    Aus den Haaren rollten mir fettige Schweißtropfen ins Gesicht. Die Hitze verstopfte meine Ohren.
    »Ich werde sprechen, Buddha, und du hör mir zu! Hör mir wenigstens zu! Oder darf man mit dir nicht SO reden? Aber warum eigentlich nicht? Du bist doch genauso wie ich. Nur groß, stark und klug. Aber deshalb musst du erst recht zuhören. Wer stark ist, muss auch gut sein. Oder ist dir das wirklich scheißegal?«
    Der Buddha war tonnenschwer, unwahrscheinlich riesig. Vielleicht verstand er kein Russisch?
    »Was ist mit deinen Augen, Buddha? Warum siehst du uns nicht an? Schau her, ja? Du hast lange genug in deinem Nirwana gesessen! Im Nirwana kann jeder – aber ich bin doch nicht im Nirwana! Hörst du? Man hat mir gesagt, dass du mich liebst ... Stimmt das? Frag aber nicht, ob ich liebe – ich kann nicht. Du bist groß und stark – und ich – bin nur so ein kleiner Pisser ... Ich kann nicht lieben – you understand?
    Wenn man sich nur anzustrengen brauchte— wenn es nur darum ginge – dann würde ich lieben – aber so funktioniert das ja nicht – Liebe hat man entweder, oder man hat sie nicht – ich habe sie nicht – das ist meine Schuld, ja? Gut, dann bestrafe mich, wenn es meine Schuld ist – bestrafe mich, und danach belehre mich – ich will ja – das siehst du doch! – ich will – aber kann einfach nicht – hörst du? Nein? – Warum schweigst du?
    Diese Welt war auch so nicht gottbeseelt. Und mit meinem Auftauchen ist sie
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