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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Autoren: Karin Wahlberg
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Narkoseschwester. »Sie hat sehr glatte, schöne Haut.«
    Veronika beteiligte sich nicht an diesem Ratespiel. Sie besaß momentan auch nicht die Muße, sich dem Kopf der Patientin zuzuwenden. Außerdem wusste sie, dass sie ihr im Gegensatz zu den anderen aus dem OP später wieder begegnen würde, wenn sie erwachte. Veronika würde der Patientin erzählen, dass sie bewusstlos eingeliefert worden war und man sie operiert hatte. Sie würde ihr erklären, welche Eingriffe vorgenommen worden seien und warum, und dass sie wahrscheinlich recht bald das Krankenhaus würde verlassen können.
    Es war ein Privileg, einen solchen Gesundungsprozess begleiten zu dürfen, der manchmal zu einem ganz neuen Weltbild führte.
    Veronika würde da sein, jedenfalls zu Anfang, solange der medizinische Zustand dies erforderlich machte. Warum? Das würde sich diese Frau ganz sicher fragen. Warum ist das ausgerechnet mir zugestoßen? Vielleicht würde sie auf diese Frage nie eine Antwort erhalten. Vielleicht würde es ihr den Anstoß geben, ihr ganzes Umfeld neu zu bewerten.
    »Da hätten wir jetzt das Einschussloch«, sagte Veronika mehr zu sich selbst und betastete die rechte Bauchwand. »Ich glaube, ich erweitere es ein wenig«, meinte sie an Rose gewandt und ließ sich eine lange Péan-Klemme reichen, die sie in die Öffnung schob. »Es soll offen bleiben, falls durch die Kugel Schmutz in die Wunde geraten sein sollte, damit der Eiter ablaufen kann. Ich kann es dann später zunähen.«
    Die Tür wurde aufgeschoben, und Daniel Skotte streckte seinen Kopf herein.
    »Werde ich noch gebraucht, oder seid ihr schon fertig?«
    Veronika spürte, wie verspannt sie im Kreuz war.
    »Wir müssen nur noch zumachen«, meinte sie. »Wenn du das übernimmst, kann ich anfangen zu diktieren, in Ordnung?«
    »Klar«, erwiderte er bereitwillig und lächelte.
    »Beeil dich und wasch dir die Hände«, sagte Rose.
    Er hatte sich bereits zum Gehen gewandt, da fiel ihm noch etwas ein.
    »Ich kann von der Notaufnahme berichten, dass die Patientin wahrscheinlich identifiziert ist.«
    Ehe jemand etwas erwidern konnte, war er auch schon draußen. Rose bereitete sich darauf vor, ihm neue sterile Kleidung sowie neue Handschuhe überzustreifen. Er öffnete die Tür mit dem Fuß und trat mit desinfizierten Händen ein.
    »Jetzt seid ihr alle neugierig, oder?«, sagte er durch seinen Mundschutz.
    Er nahm Rose ein steriles Papierhandtuch aus den Händen und steckte dann die Arme in den Kittel, den sie ihm hinhielt. Berit band ihn am Rücken zu. Jemanden steril einzukleiden ist wie ein Kind anzuziehen, dachte Veronika.
    »Spuckst du es jetzt aus, oder nicht?«, fragte sie und ging um die Patientin herum zur Tür.
    »Sicher recht tragisch. Jemand muss auf die falsche Person geschossen haben. Es hätte auch dich erwischen können«, meinte Daniel Skotte und sah Veronika an. »Oder dich.« Er warf Rose einen ernsten Blick zu.
    »Oder warum nicht gar dich?«, spottete Rose.
    »Ja, wieso eigentlich nicht. Wenn ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen wäre.«

3
    Harald Eriksson trug über seinem Schlafanzug einen Morgenrock.
    Es handelte sich um ein altmodisches, elegantes Modell aus dickem, weinrot gestreiftem Samtfrottee, das ein ganzes Leben lang halten würde. Natürlich hatte er einiges gekostet. Charlotte hatte ihn gekauft. Er hatte den Morgenrock zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag bekommen, der ziemlich genau neun Jahre zurücklag. Damals hatte er gefunden, dass er viel zu solide und zu sehr nach altem Mann aussah. In seiner Familie trug man Bademäntel aus dünnerem Stoff.
    Aber nicht zum ersten Mal hatte er umdenken müssen. Und er hatte natürlich mit keiner Miene verraten, was ihm durch den Kopf ging, als sie ihn damals morgens mit einem Frühstück im Bett überrascht hatte. Sie war so froh und begeistert gewesen. Sie erzählte, wie sie den Morgenmantel in dem noblen Warenhaus NK in Stockholm gekauft hatte, und ihm war klar gewesen, dass es das Modell war, das einem Mann wie ihm anstand.
    Er richtete sich gerne nach ihren Wünschen. Es erforderte nicht viel Mühe, ihr eine Freude zu bereiten. Dabei ging es nicht um Besitztümer, denn sie hatte seit ihrer Geburt auf nichts verzichten müssen, und dafür verachtete er sie manchmal. Für sie war das alles selbstverständlich, und sie wusste nicht viel über die Lebensbedingungen anderer Menschen. Das war ein heikler Punkt, und immer wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kamen, lag Spannung in der Luft.
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