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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte
Autoren: Beate Doelling
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und der Pestilenz.
3:54
    Sie hatte schon als Kind nie gern Fangen gespielt. Dieses sich gegenseitig Jagen machte ihr Angst. Jetzt jagte Robert sie und sie mochte sich gar nicht ausdenken, was mit ihr passierte, wenn er sie erwischte. Nur der Tisch war zwischen ihnen. Genau wie in der Szene,wo Huckleberry Finn seinem Vater entkommen will. Der war mitten im Schlaf aufgesprungen und hatte seinen eigenen Sohn mit dem Messer bedroht, wollte ihn im Delirium erstechen. Diese Szene hatte sie damals mit Robert gesehen, im Fernsehen, und sie hatte sich ganz eng an ihn geschmiegt, weil sie solche Angst hatte. Nun jagte er sie selbst um einen Tisch, und als würde er auch gerade an diese Szene denken, schnappte er sich das Rasiermesser, dessen Klinge von der Mayonnaise noch fettig glänzte. Sein Blick war irre und bei jedem Schritt zischelte er irgendwas zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Josi wich ihm nach rechts aus – dann nach links. Plötzlich ließ er sich auf den Boden fallen und hechtete unter den Tisch. Josi schrie auf, sprang zurück, damit er sie nicht an den Beinen packen konnte, und dann rannte sie ins Schlafzimmer und knallte die Tür zu.

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.
4:10
    Sie knipste das Licht an, griff nach einem Stuhl, rammte die Lehne unter die Klinke, schrie auf, als sie einen Knauf entdeckte, mit dem man die Tür verriegeln konnte, wie in einem Badezimmer. Sie nahm den Stuhl blitzschnell noch mal weg und drehte am Knauf. Er ließ sich zweimal umdrehen. Dann rammte sie den Stuhl wieder unter die Klinke.
    »Raus hier, raus hier, raus hier!«, spornte sie sich an und lief zum Fenster. Aber was war das? Die Fenstergriffe waren mit einer Eisenkette umschlungen und einem Sicherheitsschloss versiegelt. Verknotete Fenster – das hatte Lou gesagt. Er war also in diesem Raum gewesen und er war dann einfach gegangen, als der »alte Mann« schlief. Damit, dass Robert in der nächsten Zeit schlafen würde, war nicht zu rechnen, auch nicht, dass sie diese verknoteten Fenster aufkriegte. Hatte er sie wegen Lou verriegelt?
    In dem Moment hörte sie Robert nebenan einen Befehl rufen und die Rollläden gingen runter. Nein! Sie stand davor, völlig erschöpft. Die Arme hingen wie mit Blei gefüllt an ihr herab und jeder Atemzug tat weh. Die Beine knickten ihr weg, sie ging in die Knie. Sich auf den Boden legen und die Augen zumachen – die Decke bis ans Kinn ziehen und auf den Tod warten …
    »Mach die Tür auf!« Robert trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
    Josi konnte sich immer noch nicht rühren. Auf allen vieren checkte sie den Raum: neben ihr ein zerwühltes Bett, mit schmuddeligem Bezug. Auf dem Boden Socken und Unterhosen, ein Klamottenberg, eingetrocknete Essensreste auf Tellern, Plastikflaschen, DVDs, eine angebissene Marshmallowmaus. Ein Sessel, ein Schrank.
    »Mach sofort auf!« Sie hörte, wie Robert gegen die Tür wummerte. Dann aufschrie. Im Nu war sie auf den Beinen.
4:16
    Robert wummerte wieder gegen die Tür und brüllte. Er klang wie ein wildes Tier, das gerade aus einer Höhle gekommen war und sie in Stücke reißen würde, wenn es sie erwischte.
    »Denk nach, Josi! Denk nach!« Sie biss sich auf ihre Lippe und schmeckte Blut auf der Zunge. – »Wenn man ein Problem nicht lösen kann, vergiss es für einen Moment und betrachte es dann aus einem anderen Blickwinkel«, pflegte Papa immer zu sagen.
    Ihr Problem war jedoch nicht zu vergessen, nicht eine Sekunde! Es wummerte schon wieder gegen die Tür. Aber ein anderer Blickwinkel wäre trotzdem gut.
    Sie lief zum Fenster und entdeckte die Gardinenstange, eine Art Speer mit zwei Pinienzapfen am Ende. Das Teil sah solide und schwer aus, kein Ikea-Scheiß. Vielleicht konnte sie damit die Scheibe einschlagen, zumindest würde sie nicht ohne Waffe sein, wenn Robert es schaffte, die Tür aufzubrechen.
4:22
    Sie hängte sich mit aller Kraft an einen der Vorhänge, sprang an ihm hoch wie an einem Turnhallenseil, bis es krachte und sie mit dem Vorhang auf den Boden fiel.
    Im Nebenraum war es still geworden.
    »Robert?« Keine Antwort. Das war noch unheimlicher als sein Gehämmere.
    Die Stange lag noch fest in der Halterung. Sie ging zum anderen Vorhang und riss auch den herunter. Die Stange rührte sich nicht. Dann entdeckte sie das kleine weiße Kästchen in der Wand, das gleiche, das Thomas neben dem Kamin hatte. Damit ließen sich die Rollläden bedienen. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie eine Hand mit der
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