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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte
Autoren: Beate Doelling
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Puls.
    »Natürlich nicht!«
    »Habe ich das alles nur geträumt?«
    »Was denn?«
    Josi wollte sich aufsetzen, aber sie war zu schwach. Sie schaute zum Fenster. Keine Gitter, keine Rollläden, keine Kette mit Sicherheitsschloss vor den Griffen. Eine Hälfte war gekippt. Sie konnte den Himmel sehen. Die halb zugezogene Gardine bewegte sich sogar ein bisschen im Wind. Wie schön, das anzuschauen. Und wie bequem, einfach nur zu liegen.
    In ihrer linken Armbeuge steckte eine Kanüle mit einem Schlauch, über ihr hing eine Flasche. Der rechte Arm war bis zur Schulter verbunden. Sie schaute unterdie Decke. Gut. Ihre Beine waren noch da. Der linke Fuß war auch verbunden, sogar geschient. Beide Knie waren aufgeschürft, dick und blau.
    »Was ist denn mit mir?«
    »Sie haben eine Schnittwunde am Oberarm und in der Schulter. Das wurde mit neunzehn Stichen genäht. Ihr linkes Sprunggelenk ist gebrochen …«
    »Aber es tut ja gar nicht weh!«
    »Wir haben Ihnen schmerzlindernde und beruhigende Medikamente gegeben.« Engel Antonia zeigte auf die Infusionsflasche. »Wissen Sie, was passiert ist?«, fragte sie.
    »Ich bin gesprungen …«
    »Und dann?«
    Josi schüttelte den Kopf.
    »Sie sind noch ein Stück gelaufen und haben ein Auto angehalten, an der Matterhornstraße. Die Fahrerin hat sie sofort zu uns gebracht. Das war heute Morgen.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt ist es Nachmittag. Donnerstagnachmittag. Sie haben lange geschlafen. Alles wird wieder gut.«
    In Josis Kopf fing es an zu wirbeln. – Tischtennisschläger – Rasiermesser – Mayonnaise – Dunkelheit – abgesägte Absätze – Waschmaschine – Grabeskälte – Gitter vor den Fenstern – berstendes Glas – hinter ihr eine Axt. Robert …
    »Und Robert?« Sie fuhr im Bett hoch. Jetzt tat plötzlich alles weh – die Hüfte, das Knie, die Schulter. Sie sackte zurück ins Kissen.
    »Meinen Sie Ihren Freund?«
    »Nein. Robert!«
    »Sprechen Sie gleich mit der Ärztin darüber. Ich habe sie schon benachrichtigt, dass Sie wach sind. Sie ist unterwegs. Ihre Eltern sind auch da. Und Ihr Freund.«
    »Max? – Und Papa? Ist er aus dem Gefängnis raus?« Josi fing an zu weinen. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, es war so anstrengend, die Augen fielen ihr zu. Dann spürte sie etwas auf ihr Gesicht tupfen. Etwas Kühles auf der Stirn.
    »Mama!«
    »Alles ist gut, mein Schatz, alles ist gut!«
    Josi wollte die Arme ausstrecken, aber nur der linke Arm ließ sich bewegen. Mama beugte sich zur ihr herab und drückte ihre Wange an ihre, küsste sie. Sie roch so gut. Und dann erkannte Josi Thomas und neben ihm stand Marina und auf der anderen Seite – Max!
    Jemand sagte: »Das musst du unbedingt probieren!« – Estefan, er hob ein durchsichtiges Schächtelchen mit einer Pastete hoch und drängelte sich zum Bett. »Es delicioso y maravilloso!« Er lachte über das ganze Gesicht.
    Was für ein Glück, dass sie nicht tot war!
    Sie spürte eine Hand in ihrer. »Max!« Sie hielt sie ganz fest. Dann krabbelte etwas unter ihre Decke, eine kleine Hand und noch eine kleine Hand und ein kleines Bein – ganz vorsichtig – und noch ein kleines Bein. Lou kuschelte sich an sie an.
    »Ich bleib hier«, sagte er. »Bei Josi.«

Sechs Wochen später

Das Zelt steht offen. 29 Grad, wolkenloser Himmel. Josi spürt den Luftzug an ihren Füßen, aus der Ferne Stimmen, Möwengeschrei. Sie war heute schon dreimal im Wasser. Jetzt döst sie Arm in Arm mit Max im Zelt. Sie sind auf Sylt. Morgen kommen Thomas, Marina und Lou. Sie werden in einem kleinen Hotel wohnen, nicht weit vom Zeltplatz. Josi hat Lou versprochen, dass er eine Nacht bei ihnen im Zelt schlafen darf. Max ist damit einverstanden. Er ist mit allem einverstanden, Hauptsache, sie ist bei ihm.
    Richtig schlafen kann sie immer noch nicht. Sie schreckt bei jedem noch so kleinen Geräusch auf, immer in Alarmbereitschaft. Auch der Reißverschluss vom Zelt musst einen Spalt offen bleiben, sie erträgt es einfach nicht, dieses Gefühl von Eingesperrtsein. Das wird sich mit der Zeit wieder ändern, hat die Psychologin gesagt, die sie im Krankenhaus betreut hat.
    Seit einer Woche ist ihr Gips ab. Das Sprunggelenk ist gut zusammengeheilt, keine Komplikationen, obwohl es noch nicht voll belastbar ist. Sie humpelt ein bisschen. Schürfwunden, Schnitte und Prellungen sind auch gut verheilt, aber noch sichtbar.
    Als sie im Krankenhaus wieder zu sich kam, war das Wichtigste zu wissen, dass Thomas wieder frei war –ihr Vater, nicht mehr im
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