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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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der Volksmund mit dieser schlichten Weltbemerkung! Frau Hofrätin werden meine Wallung verzeihen und auch meine möglicherweise unstatthafte Redseligkeit. ›Weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über‹, sagt der Volksmund in seiner nicht weiter litterärischen und doch so treffenden Art. Wenn Frau Hofrätin die Liebe und Verehrung kennten, die ich sozusagen von Kindesbeinen für unseren Dichterfürsten, den großen Goethe, hege, und meinen Stolz als Weimarer Bürger darauf, daß wir diesen erhabenen Mann den unsrigen nennen … Wenn Dieselben wüßten, was insbesondere gerade des jungen Werthers Leiden diesem Herzen von jeher … Aber ich schweige, Frau Hofrätin, ich weiß wohl, es kommt mir nicht zu, – wenngleich ja die Wahrheit ist, daß ein so sentimentalisches Werk wie dieses allen Menschen gehört und Hoch und Niedrig mit den innigsten Wallungen beschenkt, während allerdings auf Produkte wie Iphigenia und die Natürliche Tochter vielleicht nur die höheren Schichten Prätensionen mögen machen dürfen. Wenn ich denke, wie oft {21} Madame Mager und ich uns zusammen bei der Abendkerze mit zerflossenen Seelen über diese himmlischen Blätter gebückt haben, und mir in einem damit klar mache, daß in diesem Augenblick die weltberühmte und unsterbliche Heldin derselben mir in voller Leiblichkeit, als ein Mensch wie ich … Ums Himmels willen, Frau Hofrätin!« rief er und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Ich rede und rede, und jählings schießt es mir ein siedend heiß, daß ich ja noch nicht einmal gefragt habe, ob Frau Hofrätin denn überhaupt schon Kaffee getrunken haben!«
    »Danke, mein Freund«, erwiderte die alte Dame, die dem Erguß des Biedermannes verhaltenen Blickes und dabei mit leicht zuckendem Munde zugehört hatte. »Wir haben das zeitig getan. Im Übrigen, mein lieber Herr Mager, gehen Sie viel zu weit bei Ihren Gleichsetzungen und übertreiben gewaltig, wenn Sie mich oder auch nur das junge Ding, das ich einmal war, einfach mit der Heldin jenes vielbeschrieenen Büchleins verwechseln. Sie sind der Erste nicht, den ich darauf hinweisen muß; ich predige es vielmehr seit vierundvierzig Jahren. Jene Romanfigur, die freilich ein so ausgebreitetes Leben, eine so entschiedene und gefeierte Wirklichkeit gewonnen hat, daß Einer kommen und sagen könnte, sie sei die Eigentliche und Wahre von uns beiden, was ich mir aber denn doch verbitten wollte, – dies Mädchen unterscheidet sich gar sehr von meinem einstigen Selbst, – mein gegenwärtiges ganz bei Seite zu lassen. So sieht ja ein jeder, daß ich blaue Augen habe, während Werthers Lotte bekanntlich schwarzäugig ist.«
    »Eine dichterische Lizenz!« rief Mager. »Man müßte ja nicht wissen, was das ist, – eine dichterische Lizenz! Und sie vermag doch, Frau Hofrätin, von der waltenden Identität kein Titelchen abzudingen! Möge der Dichter sich ihrer zum Zweck eines gewissen cache-cache bedient haben, um ein wenig die Spur zu verwischen …«
    {22} »Nein«, sagte die Hofrätin mit abweisendem Kopfschütteln, »die schwarzen Augen kommen woanders her.«
    »Und wenn auch!« eiferte Mager. »Sei es auch so, daß diese Identität durch solche winzigen Abweichungen ein wenig abgeschwächt wird …«
    »Es gibt viel größere«, schaltete die Hofrätin nachdrücklich ein.
    »…so bleibt doch völlig unangetastet die andere, mit jener sich überkreuzende und von ihr untrennbare, – die Identität mit sich selbst, will sagen: mit jener ebenfalls legendären Person, von welcher der große Mann uns noch kürzlich in seinen Erinnerungen ein so innig Bildnis gemalt hat, und wenn Frau Hofrätin nicht bis aufs letzte Titelchen die Lotte Werthers sind, so sind Sie doch aufs Haar und ohne jeden Abzug die Lotte Goe –«
    »Mein Wertester«, sagte die Hofrätin Einhalt gebietend. »Es hat einigen Aufenthalt gegeben, bis Sie die Freundlichkeit hatten, uns unser Zimmer zu zeigen. Es entgeht Ihnen offenbar, daß Sie uns jetzo hindern, davon Besitz zu nehmen.«
    »Frau Hofrätin«, bat der Kellner des »Elephanten« mit gefalteten Händen, »vergeben Sie mir! Vergeben Sie einem Manne, der … Mein Benehmen ist unverzeihlich, ich weiß es, und dennoch bitte ich um Ihre Absolution. Ich werde durch meine sofortige Entfernung … Es reißt mich ja«, sagte er, »es reißt mich ja ohnedies, von aller Rücksicht und Schicklichkeit abgesehen, längst von hier dahin und dorthin; denn wenn ich denke, daß Frau Elmenreich bis zu diesem
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