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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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geröteten Augen unbeweglich blickte, wobei er den Mund auf eine gewisse, nicht blöde zu nennende, sondern sozusagen fein geregelte Weise geöffnet hielt. Es war auf den Dielen des ersten Treppenabsatzes, daß er den Zug zum Stehen brachte.
    {16} »Um Vergebung!« sagte er. »Recht sehr um Vergebung, wenn meine Frage … Es ist nicht gemeine und unstatthafte Neugier, die … Sollten wir den Vorzug haben mit Frau Hofrätin Kestner, Madame Charlotte Kestner, der geborenen Buff, aus Wetzlar –?«
    »Die bin ich«, bestätigte die alte Dame lächelnd.
    »Ich meine … Sehr wohl, gewiß doch, aber ich meine, – es handelt sich also am Ende doch wohl nicht um Charlotte – auch kürzer Lotte – Kestner, geborene Buff aus dem Deutschen Hause, dem Deutschordenshause zu Wetzlar, die ehemalige …«
    »Um eben die, mein Guter. Aber ich bin garnicht ehemalig, ich bin hier sehr gegenwärtig, und wünschte wohl, auf das mir zugewiesene Zimmer …«
    »Unverzüglich!« rief Mager und nahm mit gesenkter Stirn einen Anlauf zum Weitereilen, blieb dann aber doch wieder an die Stelle gewurzelt stehen und schlang die Hände in einander.
    »Du liebe Zeit!« sagte er mit tiefem Gefühl. »Du liebe Zeit, Frau Hofrätin! Frau Hofrätin mögen verzeihen, wenn meine Gedanken sich nicht sogleich an die hier waltende Identität und die sich eröffnende Perspektive … Dies kommt sozusagen aus heiterem Himmel … Das Haus hat also die Ehre und die unschätzbare Auszeichnung, die wahre und wirkliche, das Urbild, wenn ich mich so ausdrücken darf … Mit einem Wort, es ist mir beschieden, vor Werthers Lotte …«
    »Dem wird wohl so sein, mein Freund«, entgegnete die Hofrätin mit ruhiger Würde, indem sie der kichernden Zofe einen verweisenden Blick zuwarf. »Und wenn es für ihn ein Grund mehr wäre, uns reisemüden Frauen nun ungesäumt unser Zimmer zu zeigen, so wollte ich's wohl zufrieden sein.«
    »Im Augenblick!«, rief der Marqueur und setzte sich in Eilschritt. »Das Zimmer, Numero siebenundzwanzig, mein Gott, es liegt über zwei Treppen. Sie sind bequem, unsere Treppen, wie Frau Hofrätin bemerken, aber hätten wir geahnt … Es hätte sich zweifelsohne trotz unserer Besetztheit … Immerhin, das {17} Zimmer ist ansehnlich, es blickt vornheraus auf den Markt und dürfte nicht mißfallen. Noch kürzlich haben Herr und Frau Major von Egloffstein aus Halle dort logiert, als sie zu Besuch ihrer Frau Tante, der Oberkammerherrin gleichen Namens, hier weilten. Oktober dreizehn hatte es ein Generaladjutant Seiner kaiserlichen Hoheit des Großfürsten Konstantin inne. Das ist gewissermaßen eine historische Erinnerung … Aber, du mein Gott, was rede ich von historischen Erinnerungen, die für einen Menschen von Sentiment nicht im mindesten den Vergleich aushalten mit … Nur wenige Schritte noch, Frau Hofrätin! Von der Treppe sind es nur noch ganz wenige Schritte diesen Korridor entlang. Alles frisch geweißt, wie Frau Hofrätin sehen. Wir haben seit Ende dreizehn, nach dem Besuch der Donschen Kosaken, durchgehend renovieren müssen, Treppen, Zimmer, Gänge und Konversationsräumlichkeiten, was vielleicht längst überfällig gewesen wäre. Nun haben die wilden Gewaltsamkeiten des Weltgeschehens es erzwungen, woraus die Lehre zu ziehen sein möchte, daß die Erneuerungen des Lebens vielleicht nicht ohne kräftig nachhelfende Gewaltsamkeit zustandekommen. Ich will übrigens nicht ausschließlich den Kosaken das Verdienst an unserer Erfrischung zuschreiben. Wir hatten auch Preußen und ungarische Husaren im Hause, von den vorangegangenen Franzosen zu schweigen … Wir sind am Ziel. Wenn ich Frau Hofrätin bitten dürfte!«
    Er beugte sich, Einlaß gewährend, mit der Tür, die er angelweit öffnete, tief in das Zimmer hinein. Die Augen der Frauen streiften in flüchtiger Prüfung die gestärkten Mullvorhänge der beiden Fenster, den goldgerahmten und freilich etwas blindfleckigen Konsolenspiegel zwischen ihnen, die weiß gedeckten Betten, die einen kleinen gemeinsamen Himmel hatten, die übrigen Bequemlichkeiten. Ein Kupferstich, landschaftlich, mit antikem Tempel, schmückte die Wand. Der Fußboden glänzte reinlich geölt.
    {18} »Recht artig«, sagte die Hofrätin.
    »Wie glücklich wären wir, wenn die Damen sich hier leidlich zu behagen vermöchten! Sollte irgend etwas mangeln, – hier ist der Glockenzug. Daß ich für heißes Wasser sorge, versteht sich am Rande. Wir wären so überaus hochbeglückt, wenn wir die
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