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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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wirklich so zugetragen?!«
    »Ja und nein, mein Freund, ja und nein«, sagte die Bedrängte gütig, mit zitterndem Kopfe. »Geh' er nun! Geh' er!«
    Und der Aufgeregte enteilte mit Klärchen, dem Kätzchen.
    Charlotte seufzte tief auf, indem sie sich des Hutes entledigte. Ihre Tochter, die während des vorangegangenen Gespräches beschäftigt gewesen war, ihre und ihrer Mutter Kleider ins Spind zu hängen und den Inhalt der Necessaires auf dem Toilettetisch, den Simsen der Waschtischchen zu verteilen, blickte spöttisch zu ihr hinüber.
    »Da hast du«, sagte sie, »deinen Stern entblößt. Der Effekt war nicht übel.«
    »Ach Kind«, erwiderte die Mutter, »was du meinen Stern nennst, und was mehr ein Kreuz ist, wobei es ja immerhin ein Orden bleiben mag, – der kommt zum Vorschein ohne mein Zutun, ich kann's nicht hindern und ihn nicht verbergen.«
    »Ein wenig länger, liebe Mama, wenn nicht für die ganze Dauer dieses etwas extravaganten Aufenthaltes, hätte er allenfalls verhüllt bleiben können, wenn wir doch lieber bei Tante Amalie logiert hätten anstatt im öffentlichen Gasthofe.«
    »Du weißt sehr gut, Lottchen, daß das nicht anging. Dein Onkel, deine Tante und deine Cousinen haben keinen Überfluß an Raum, ob sie auch – oder eben weil sie – in vornehmer Gegend wohnen. Es war unmöglich, ihnen zu drei Personen ins Haus zu fallen und sie, sei es auch nur für einige Tage, zum unbehaglichsten Zusammenrücken zu zwingen. Dein Onkel Ridel hat sein Auskommen als Beamter, aber es haben ihn schwere Schläge getroffen, anno sechs hat er alles verloren, er ist kein reicher Mann, und es würde sich keineswegs für uns zie {26} men, ihm auf der Tasche zu liegen. Daß es mich aber verlangt, meine jüngste Schwester, unsere Mali, endlich einmal wieder in die Arme zu schließen und mich des Glückes zu freuen, das sie an der Seite ihres wackeren Mannes genießt, wer will mir das verargen? Vergiß nicht, daß ich mich diesen lieben Verwandten vielleicht sehr nützlich erweisen kann. Dein Onkel macht sich Hoffnungen auf den Posten eines großherzoglichen Kammerdirektors, – durch meine Verbindungen und alten Freundschaften kann ich möglicherweise hier an Ort und Stelle seine Wünsche wirksam befördern. Und ist nicht der Augenblick, wo du, mein Kind, nach zehnjähriger Trennung wieder einmal an meiner Seite bist und mich begleiten kannst, der allergeschickteste für diese Besuchsreise? Soll das eigentümliche Schicksal, das mir zuteil geworden, mich hindern dürfen, den rechtmäßigsten Trieben meines Herzens zu folgen?«
    »Gewiß nicht, Mama, gewiß nicht.«
    »Wer konnte auch denken«, fuhr die Hofrätin fort, »daß wir sogleich würden einem solchen Enthusiasten in die Arme laufen wie diesem Ganymedes im Backenbart? Da beklagt sich der Goethe in seinen Memoires über die Plage, die er immerfort mit der Neugier der Leute gehabt, welches die rechte Lotte denn sei und wo sie wohne, und daß er sich vor dem Zudrang durch kein Inkognito habe schützen können, – eine wahre Pönitenz nennt er's, glaub' ich, und meint, wenn er sich denn versündigt habe mit seinem Büchlein, so hab' er die Sünde büßen müssen gründlich und über Gebühr. Aber da sieht man's, daß die Männer – und die Poeten nun gar – nur an sich denken; denn er bedenkt nicht, daß wir die Neugiersnot auch noch auszustehen haben wie er, zu allem andern dazu, was er uns angetan, deinem guten seligen Vater und mir, mit seiner heillosen Vermischung von Dichtung und Wahrheit …«
    »Von schwarzen und blauen Augen.«
    »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, {27} am wenigsten für den seines Lottchens. Mußt' ichs dem tollen Menschen doch verweisen, daß er mich so geradehin, wie ich da leibe und lebe, für Werthers Lotte nähme.«
    »Er war impertinent genug, dich über die Unstimmigkeit damit zu trösten, daß er dich Goethes Lotte nannte.«
    »Auch das, mein' ich wohl, habe ich ihm nicht durchgehen lassen, sondern es ihm mit unverhohlenem Unwillen verwiesen. – Ich müßte dich nicht kennen, mein Kind, um nicht zu fühlen, daß ich nach deiner strengeren Gesinnung den Mann von Anbeginn hätte kürzer im Zügel halten sollen. Aber sage mir, wie? Indem ich mich verleugnete? Indem ich ihn bedeutete, daß ich von mir und meinen Bewandtnissen nichts wissen wolle? Aber hab' ich auch ein Verfügungsrecht über diese Bewandtnisse, die nun einmal der Welt gehören? – Du, mein Kind, bist eine so andere Natur als
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