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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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ich, – laß mich hinzufügen, daß das meine Liebe zu dir um kein Quentchen mindert. Du bist nicht das, was man leutselig nennt, – und was sich von Opferwilligkeit, von der Bereitschaft sein Leben für andre hinzugeben noch gar sehr unterscheidet. Sogar schien es mir oft, alsob ein Leben des Opfers und des Dienstes an anderen eine gewisse Herbigkeit, ja, sagen wir ohne Lob und Tadel, oder selbst mit mehr Lob als Tadel: eine gewisse Härte zeitigte, die die Leutseligkeit wenig befördert. Du kannst, mein Kind, an meiner Achtung vor deinem Charakter so wenig als an meiner Liebe zweifeln. Seit zehn Jahren bist du im Elsaß der gute Engel deines armen, lieben Bruders Carl, der seine junge Frau und ein Bein verlor – ein Unglück kömmt selten allein. Was wäre er ohne dich, mein armer, heimgesuchter Junge! Du bist ihm Pflegerin, Helferin, Hausfrau und Waisenmutter den Kindern. Dein Leben ist Arbeit und selbstloser Liebesdienst, – wie hätte nicht sollen ein Zug von Ernst sich darin eingraben, der müßiger Fühlsamkeit widersteht, bei sich und andern. Du hältst von Ächtheit mehr als von Interessantheit – wie tust du recht {28} daran! Die Beziehungen zur großen Welt der Leidenschaften und des schönen Geistes, die unser Teil geworden sind –«
    »Unser? Ich unterhalte solche Beziehungen nicht.«
    »Mein Kind, die werden uns bleiben, und unserm Namen anhaften bis ins dritte und vierte Glied, ob's uns nun lieb ist oder leid. Und wenn warmherzige Menschen uns anliegen um ihretwillen, begeisterte oder auch nur neugierige – denn wo ist da die Grenze zu ziehen –, haben wir ein Recht, mit uns zu geizen und die Inständigen schnöde zurückzustoßen? Sieh, hier ist der Unterschied zwischen unseren Naturen. Auch mein Leben war ernst, und an Verzicht hat's ihm nicht ganz gefehlt. Ich war deinem teuren, unvergeßlichen Vater, glaube ich, eine gute Frau. Ich habe ihm elf Kinder geboren und neune aufgezogen zu ehrbaren Menschen, denn zwei mußt' ich hingeben. Auch ich habe Opfer gebracht, in Tun und Leiden. Aber die Leutseligkeit oder die Gutmütigkeit, wie du es tadelnd nennen magst, hat mir das nicht verkümmert, des Lebens Härte hat mich nicht hart gemacht, und so einem Mager den Rücken zu drehen und ihm zu sagen: ›Narre, laß er mich in Ruh!‹– ich bring' es nun einmal nicht über mich.«
    »Du sprichst genau«, erwiderte Lotte, die Jüngere, »liebe Mama, als hätte ich dir einen Vorwurf gemacht und mich unkindlich vor dir überhoben. Ich habe ja gar den Mund nicht aufgetan. Ich ärgere mich, wenn die Leute deine Güte und Geduld auf so harte Proben stellen, wie die eben bestandene, und dich erschöpfen mit ihrer Aufregung – willst du mir den Aerger verargen? – Dies Kleid hier«, sagte sie und hielt eine eben dem Gepäck der Mutter entnommene Robe, weiß, mit Schleifen, mit blaßroten Schleifen geziert, in die Höhe, »sollte man es nicht doch ein wenig aufplätten, bevor du es etwa anlegst? Es ist arg zerdrückt.«
    Die Hofrätin errötete, was sie gut und rührend kleidete. Es verjüngte sie merkwürdiger Weise, veränderte ihr Gesicht ins {29} Lieblich-Jungmädchenhafte: man glaubte auf einmal zu erkennen, wie es mit zwanzig Jahren ausgesehen hatte; die zart blickenden blauen Augen unter den ebenmäßig gewölbten Brauen, das fein gebogene Näschen, der angenehme kleine Mund gewannen in dem Licht, der rosigen Tönung dieses Errötens für einige Sekunden den reizenden Sinn zurück, den sie einst besessen; des Amtmanns wackeres Töchterchen, die Mutter seiner Kleinen, die Ballfee von Volpertshausen trat unter diesem Alt-Damen-Erröten überraschend noch einmal hervor.
    Da Madame Kestner ihren schwarzen Umhang abgelegt hatte, stand sie in einem Kleide da, ebenso weiß wie das freilich gesellschaftlichere, das man ihr vorzeigte. Sie trug bei wärmerer Jahreszeit (und die Witterung war noch sommerlich) aus eigentümlicher Liebhaberei stets weiße Kleider. Dasjenige aber in der Hand der Tochter wies blaßrote Schleifen auf.
    Unwillkürlich hatten beide sich abgewandt, die Aeltere, wie es schien, von dem Kleide, die Junge von dem Erröten der Mutter, das ihr um seiner Holdheit und seiner verjüngenden Wirkung willen peinlich war.
    »Nicht doch«, antwortete die Hofrätin auf den Vorschlag Charlottens. »Machen wir keine Umstände! Diese Art Crêpe hängt sich im Schranke rasch wieder zurecht, und wer weiß denn auch, ob ich überhaupt dazu komme, das Fähnchen zu tragen.«
    »Warum solltest du
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