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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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den nischenartigen Bureauraum von der Diele trennte. Ein Angestellter, von seinem Stehpult hinweggetreten, verhandelte seitlich auf englisch mit einem Herrn in Kragenmantel, dem die beim Eingang aufgehäuften Koffer gehören mochten. Die Wirtin, phlegmatischen Auges mehr über die Ankömmlinge hinwegblickend als von ihnen Notiz nehmend, erwiderte den Gruß der Aelteren, den angedeuteten Knicks der Jungen mit würdiger Kopfneigung, vernahm die vom Kellner vermittelte Zimmerforderung hingehaltenen Ohres und ergriff einen gestielten Hausplan, auf dem sie eine Weile die Bleistiftspitze herumführte.
    »Siebenundzwanzig«, bestimmte sie, gegen den grünbeschürzten Hausdiener gewandt, der mit dem Gepäck der Damen wartete, »mit einer Einzelkammer kann ich nicht dienen. Die Mamsell müßte das Zimmer mit der Jungfer der Gräfin Larisch von Erfurt teilen. Wir haben eben viele Gäste mit Dienerschaft im Hause.«
    Das Klärchen zog hinter dem Rücken ihrer Herrin ein Maul, {14} doch diese war einverstanden. Man werde sich schon vertragen, erklärte sie und bat, schon zum Gehen gewandt, auf das Zimmer geführt zu werden, wohin gleich auch die Handkoffer gebracht werden möchten.
    »Alsbald, Madame«, sagte der Kellner. »Nur eben noch diese Formalität wäre nebenher zu erfüllen. Um Lebens oder Sterbens willen bitten wir uns ein paar Zeilen aus. Nicht unser ist die Pedanterei, sondern der heiligen Hermandad. Sie kann nicht aus ihrer Haut. Es erben sich, möchte man sagen, Gesetz' und Rechte wie eine ew'ge Krankheit fort. Dürfte ich wohl um die Güte und Gefälligkeit ersuchen –?«
    Die Dame lachte, indem sie wieder nach ihrer Tochter blickte und belustigt-erstaunt den Kopf schüttelte.
    »Ja, so«, sagte sie, »das vergaß ich. Alles, was sich gehört! Übrigens ist er ein Mann von Kopf, wie ich höre,« (sie gebrauchte die Anredeform, die noch in ihrer Jugend üblich gewesen sein mochte,) »wohlbelesen und citatenfest. Geb' er her!« Und an den Tisch zurücktretend nahm sie mit den feinen Fingern ihrer nur halb bekleideten Hand den an einer Schnur hängenden Kreidestift, den die Wirtin ihr reichte, und beugte sich, noch immer lachend, über die Meldetafel, auf der schon ein paar Namen standen.
    Sie schrieb langsam, indem sie allmählich zu lachen aufhörte und nur noch kleine amüsierte und seufzerartige Laute und Nachklänge ihrer verstummenden Heiterkeit nachfolgen ließ. Das nickende Zittern ihres Nackens machte sich dabei, wohl infolge der Unbequemlichkeit ihrer Stellung, deutlicher als je bemerkbar.
    Man sah ihr zu. Von der einen Seite blickte die Tochter ihr über die Schulter, die hübschen, ebenmäßig gebogenen Augenbrauen (sie hatte sie von der Mutter) zur Stirn gehoben, den Mund moquant verschlossen und verzogen; und andererseits äugte, halb nur zur Aufsicht, ob sie die rot markierten Rubriken {15} richtig benutze, halb auch aus Kleinstädter-Neugier und mit jener von Bosheit nicht ganz freien Genugtuung darüber, daß für jemanden der Augenblick gekommen war, die gewissermaßen dankbare Rolle des Unbekannten aufzugeben und sich zu nennen und zu bekennen, Kellner Mager ihr in die Schrift. Aus irgend einem Grunde hatten auch der Bureau-Verwandte und der britische Reisende ihr Gespräch unterbrochen und beobachteten die kopfnickend Schreibende, die mit fast kindlicher Sorgfalt ihre Buchstaben zog.
    Mager las blinzelnd: »Hofräthin Witwe Charlotte Kestner, geb. Buff, von Hannover, letzter Aufenthalt: Goslar, geboren am 11. Januar 1753 zu Wetzlar, nebst Tochter und Bedienung.«
    »Genügt das?« fragte die Hofrätin; und da man ihr nicht antwortete, beschloß sie selbst: »Das muß genügen!« Damit wollte sie den Griffel energisch auf die Tischplatte legen, vergaß, daß er nicht frei war und riß den Metallständer um, an dem er hing.
    »Wie ungeschickt!« sagte sie errötend, indem sie abermals einen raschen Blick auf ihre Tochter warf, die spöttisch verschlossenen Mundes die Augen gesenkt hielt. »Nun, das ist bald wieder hergestellt und alles wäre getan. Machen wir endlich, daß wir aufs Zimmer kommen!« Und mit einer gewissen Hast wandte sie sich zum Gehen.
    Tochter, Jungfer und Kellner, der glatzköpfige, Schachteln und Reisetaschen tragende Hausknecht hinterdrein, folgten ihr über den Flur zur Treppe. Mager hatte nicht aufgehört zu blinzeln, er fuhr unterwegs damit fort und zwar so, daß er in Intervallen immer drei oder viermal sehr rasch mit den Lidern nickte und dann eine Weile mit den
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