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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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{11} Erstes Kapitel
    Der Kellner des Gasthofes »Zum Elefanten« in Weimar, Mager , ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, daß etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, daß Mager eine Weile zu träumen glaubte.
    Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens kurz nach 8 Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Hause am Markte ein, denen auf den ersten Blick – und auch auf den zweiten noch – nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr Verhältnis unter einander war leicht zu beurteilen: Es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommsbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte, und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich im Gedenken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr noch in einer Art von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indeß sie nicht ohne unnötige Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand. Dann zog er an der Schnur sein Horn vom Rücken und begann zum Wohlgefallen einiger Buben und Frühpassanten, die der Ankunft beiwohnten, sehr empfindsam zu blasen.
    Die Damen standen noch, dem Hause abgekehrt, bei dem Postwagen, die Niederholung ihres übrigens bescheidenen Gepäcks zu überwachen, und Mager wartete den Augenblick ab, wo sie, beruhigt über ihr Eigentum, sich gegen den Eingang {12} wandten, um ihnen sodann, ganz Diplomat, ein verbindliches und gleichwohl leicht zögerndes Lächeln auf dem käsefarbenen, von einem rötlichen Backenbart eingefaßten Gesicht, in seinem zugeknöpften Frack, seinem verwaschenen Halstuch im abstehenden Schalkragen und seinen über den sehr großen Füßen eng zulaufenden Hosen, auf den Bürgersteig entgegenzukommen.
    »Guten Tag, mein Freund!« sagte die mütterliche der beiden Damen, eine Matrone allerdings, schon recht bei Jahren, Ende fünfzig zumindest, ein wenig rundlich, in einem weißen Kleide mit schwarzem Umhang, Halbhandschuhen aus Zwirn und einer hohen Kapotte, unter der krauses Haar, von dem aschigen Grau, das ehemals blond gewesen, hervorschaute. »Logis für Dreie brauchten wir also, ein zweischläfrig Zimmer für mich und mein Kind« (das Kind war auch die Jüngste nicht mehr, wohl Ende zwanzig, mit braunen Korkzieherlocken, ein Kräuschen um den Hals; das fein gebogene Näschen der Mutter war bei ihr ein wenig zu scharf, zu hart ausgefallen) »– und eine Kammer, nicht zu weitab, für meine Jungfer. Wird das zu haben sein?«
    Die blauen Augen der Frau, von distinguierter Mattigkeit, blickten an dem Kellner vorbei auf die Front des Gasthauses, ihr kleiner Mund, eingebettet in einigen Altersspeck der Wangen, bewegte sich eigentümlich angenehm. In ihrer Jugend mochte sie reizvoller gewesen sein, als die Tochter es heute noch war. Was an ihr auffiel, war ein nickendes Zittern des Kopfes, das aber zum Teil als Bekräftigung ihrer Worte und rasche Aufforderung zur Zustimmung wirkte, sodaß seine Ursache nicht so sehr Schwäche als Lebhaftigkeit oder allenfalls beides gleichermaßen zu sein schien.
    »Sehr wohl«, erwiderte der Aufwärter, der Mutter und Tochter zum Eingang geleitete, während die Zofe, eine Hutschachtel schlenkernd, folgte. »Zwar sind wir, wie üblich, stark besetzt {13} und könnten leicht in die Lage kommen, selbst Personen von Stand abschlägig bescheiden zu müssen, doch werden wir keine Anstrengung scheuen, den Wünschen der Damen aufs beste zu genügen.«
    »Nun, das ist ja schön«, versetzte die Fremde und tauschte einen heiteren Achtungsblick mit ihrer Tochter ob der wohlgefügten und dabei stark thüringisch-sächsisch gefärbten Redeweise des Mannes.
    »Darf ich bitten? Ich bitte sehr!« sagte Mager, sie in den Flur komplimentierend. »Der Empfang ist zur Rechten. Frau Elmenreich, die Wirtin des Hauses, wird sich ein Vergnügen daraus machen – Ich darf wohl bitten!«
    Frau Elmenreich, einen Pfeil in der Frisur, die hochgegürtete Büste wegen der Nähe der Haustür von einer Strickjacke umhüllt, thronte bei Federn, Streusand und einer Rechenmaschine hinter einer Art von Ladentisch, der
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