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Lohn der Angst

Lohn der Angst

Titel: Lohn der Angst
Autoren: Georges Arnaud
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fühlte nicht mehr die Sonne auf der Haut; dazu war er schon zu lange in den Tropen. Aber ihm war, als hätte er Schwefelsäure in Kopf, Lungen und Nieren. Jeder Muskel, jede Sehne verwandelte sich in einen weißglühenden Metallfaden, der ihm in die Knochen schnitt. Gerade als er bei dem K.B. ankam, begann er in den Handflächen, in den Fingerspitzen das gefürchtete Prickeln zu spüren, das, wie er wußte, das letzte Alarmsignal war: Hitzschlag. Er ließ sich zu Boden fallen und kroch zwischen die Hinterräder. Dann – kraftlos, aber seinen ganzen Willen auf das Ziel gerichtet, das er sich gesetzt hatte: Johnny retten – zog er den Rumänen zu sich in den Schatten.
    Er dachte schon lange nicht mehr, wir haben es gesagt. Genaugenommen seit dem Augenblick, als er durch den Sprengtrichter hindurch wollte. Sein »durch – und sofort«, das Ausschalten jeder Vorsichtsregel, die ihn hätte aufhalten können, alles das war rein impulsiv. Aber es gibt eine Sorte von Menschen, bei denen der Instinkt, sobald die Vernunft ausgeschaltet ist, eine männliche Sprache spricht. Stürmer gehörte dazu.
    Er behielt im Schatten seiner Zufluchtsstätte die Augen offen: schloß er sie, so waren jene anderen Sonnen da, die ihn weit mehr blendeten als die richtige. Er bemühte sich, ruhig und entspannt zu atmen. Dann zwang er sich, seine letzten Kräfte zusammenzuraffen: sobald er konnte, mußte er nach vorn springen, einen der Wassersäcke holen, die zu beiden Seiten des Führerhauses hingen, sich das Wasser über den Kopf schütten, in den Schatten zurückkehren und Johnnys Schläfen kühlen.
    Es würde nur einen einzigen, sehr kurzen Augenblick für die Durchführung seines Entschlusses geben; den durfte er nicht verpassen; gleich danach würde es zu spät sein: Herzschlag.
    Der Augenblick war gekommen. Gérard versammelte seine Glieder um sich. Die Einwirkung von Sonne und Hitze auf sein Hirn war so stark, daß ihm schien, es fehle ihm ein Teil davon. Recht und schlecht richtete er sich auf allen vieren auf. Kroch aus dem Schatten. Als er aufstehen wollte, gelang es ihm nicht. Halb zusammengekauert, am Boden kriechend, näherte er sich dem Wasser.
     
     
    Es gibt in Mittel- und Südamerika ein höchst komisches Säugetier, das ohne Zweifel ein Überbleibsel aus fernster, prähistorischer Zeit ist und sich durch eine unbegreifliche Laune der Natur bis heute erhalten hat: das Faultier. Das Faultier ist so groß wie ein Rollschwanzaffe; es hat dessen wohlproportionierte und elegante Hände und Füße, ein ebenso angenehmes, weiches Fell, aber nicht dessen kluge Physiognomie. In seinem Gesichtsausdruck liegt dauernd etwas Starres. Selbst seine Bewegungen sind wie gelähmt, so unglaublich langsam ist es. Es braucht länger als eine Minute, um seine Hand an das Maul zu führen. In Gefahr zeigt sich die Angst erst nach einer guten Weile auf seinem leidenden Menschengesicht. Dann flieht es, aber seine Hast drückt sich nur in der ungeheuren Aufmerksamkeit seiner Bewegungen aus. Sein Verhalten bleibt stets von der gleichen lächerlichen und ganz unmenschlichen Trägheit gekennzeichnet. Es scheint die Verkörperung jener Alpträume zu sein, in denen wir dem Zug ausweichen wollen, der auf uns zurast, der uns zermalmen wird, und in denen es uns nicht gelingt, den kleinen Finger zu rühren, um von den Schienen zu entkommen. In diesem Stil »stürzte« sich Stürmer auf das Wasser.
     
     
    Als Gérard zu Johnny zurückkam, atmete dieser mühevoll, und in seine stoßweisen Atemzüge mischte sich ein heiseres Röcheln.
    Das Wasser schien ihm gutzutun. Sein Atem ging ruhiger, wurde regelmäßiger. Die Erstickungsanfälle, bei deren Höhepunkt Stürmer sich fragte, ob Johnnys Herz nicht zerspringen müßte, wurden seltener. Er kam wieder zu sich, aber er schien alles vergessen zu haben; er murmelte zuerst einen Satz auf rumänisch, übersetzte dann ins Deutsche und schließlich ins Englische:
    »Wecken Sie mich morgen früh um neun Uhr mit dem Frühstück...«
    Recht merkwürdiges Luxushotel. Mein armer Johnny!
    Stürmer hatte indessen seinen Verstand wiedergefunden: er dachte plötzlich an die Ladung, in deren Schatten sie sich geflüchtet hatten. Welche Temperatur war nötig, welche Menge bei der kritischen Temperatur...?
    Lieber nicht wissen, was im Kopf der Ladung vor sich ging, dieser Ladung, die tückisch lauerte wie ein afrikanischer Götze ... Lieber keine Fragen stellen, lieber ganz einfach im dunkeln tappen: vielleicht geschah es jetzt,
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