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Lohn der Angst

Lohn der Angst

Titel: Lohn der Angst
Autoren: Georges Arnaud
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andere.
     
     
    Die Frau sitzt wieder da. Sie hat noch immer kein Gesicht; aber ihre Herausforderung ist jetzt ganz eindeutig.
    »Nimm die Füße von meinem Freund weg.«
    Er hat das laut gesagt, diesen Satz, der sinnlos ist, wie man ihn auch wendet, aber er wacht nicht auf. Oh, er schläft auch nicht. An seinem Platz sitzen zwei Männer: einer, der den roten Truck vernünftig über den holprigen Leidensweg fährt, der Angst hat, der vorsichtig ist. Der tut, was getan werden muß, nicht gerade genial, aber ordentlich. Dieser sieht die Straße, die Eintönigkeit der Ebene und im Hintergrund den Rauch, der zum Himmel steigt und den brennenden Derrick verhüllt. Und dann der andere, der von nichts weiß, der durch die Nacht taumelt, von zwei Gespenstern begleitet auf seinem blinden Weg: von einem, der einmal sein Freund war, lange ist das her, und der seit einer Ewigkeit aufgehört hat zu leben; und von einer Frau, die absolut kein Gesicht haben will, die trotz dieses Mangels schön ist und wahrscheinlich vom Tod gesandt.
    »Ich heiße Anne«, sagt sie, »mich gelüstet es nach dir.«
    Dieses Mal hat der wache Gérard Angst; der, welcher fährt, nicht der andere.
    Der Feuerschein greift in seinen eigenen Rauch und schwingt sich so hoch in den Himmel, daß die Erde leuchtet. Riesige Schatten erheben sich im roten Widerschein, wachsen aus dem Boden. Aber sie haben keine Zeit, Gestalt anzunehmen: die Motorhaube verschluckt sie, sie sterben zermalmt.
    Die Frau hat eine Hand auf Gérards Schenkel gelegt. Der Motor schnurrt seine Litanei; Gérard errät Worte daraus: Worte, die ihm verboten waren, als er ein Junge war, und er nicht wußte, warum.
    Gérard macht seine Arbeit gut. Die Nadel am Geschwindigkeitsmesser steht auf zehn und rührt sich nicht. Die Räder schlucken die Straße und speien sie hinter sich wieder aus, ganz regelmäßig, und ohne Geifer, ohne Staub. Bei dieser Geschwindigkeit rollt er wie über eine Autobahn. Dieser Gérard ist frei von allen Trugbildern.
    Merkwürdig, wie er darauf kommt, heute nacht an seine Kindheit zu denken. Anne hat sich ihm jetzt zugewendet. Und es will dem Mann scheinen, daß er zum erstenmal eine Frau sieht, daß sie die erste ist ... Er hat jetzt Furcht, daß er erwacht. Aber die Frau hat noch immer kein Gesicht, und einen Augenblick später ist sie verschwunden. Die beiden Gérards sind jetzt wieder eins und hängen mit dem Blick an der Straße, ein wenig atemlos, auch beschämt. Sie schreiben das der Übermüdung zu. Und dem Angstgefühl!
    Stürmer nimmt noch eine Zigarette. Beim Aufflammen des Zündholzes bemerkt er, daß Johnny nicht mehr atmet. Ein Mensch, der stirbt, muß sich immer an irgend etwas klammern. Dieser da an ein Päckchen »Lucky«. Ein Wort, das soviel wie glücklich bedeutet.
     
     
    Die Nacht hat ihre Sekunden eine nach der andern ablaufen lassen, langsam, grausam. Sie hat ihm nichts geschenkt. Der Schlaf hat sich an seine Augenlider gehängt, als wolle er sie zerreißen. Aber sie haben nicht geblutet, vielleicht hatte er kein Blut mehr. Und der Leichnam, den er mit sich führte und der schon vor dem Verscheiden nach Verwesung roch...
    Immer hinterhältiger wird der Tanz der Schatten, der Tanz des Feuers vor den Rädern. Wenigstens kam jetzt die Frau nicht wieder. Er war allein mit Johnny.
    Der Feuerschein wurde stärker, behinderte die Sicht, blendete ihn. Jeden Augenblick glaubte er sich am Ziel, blickte er forschend in die Nacht. Noch nicht. Schläfrig fuhr der Wagen weiter. Er hörte Stimmen an seinem Ohr, die ihn begrüßten, aber er hatte sich getäuscht. Und was schlimmer war, die Flamme, die er seit Stunden sehr deutlich gesehen hatte, begann zu verblassen und verschwand dann völlig. Ein undurchdringliches Grau umgab ihn, und er begriff nicht sofort, daß es Tag geworden war und daß der dunkle Vorhang, der ihn einhüllte, die Wolkendecke war, die in weitem Umkreis rings um das Feuer auf dem Boden lagerte. Dann sah er wieder Rauchschwaden, und wo sie sich teilten, Männer, die auf ihn zukamen. Sie winkten heftig mit den Armen, um ihn zu bedeuten, er sollte nicht weiterfahren. Aber er glaubte ihnen nicht. Einer von ihnen sprang auf das Trittbrett und faßte ihn am Arm.
    »Bravo, Kerl! Du hast gewonnen. Und wo sind die andern?«
     
     
    Schlaf. Tierischer Schlaf. Ausgelöscht das Denken, die Welt, ja selbst das Leben. Stunden und Stunden tiefer, traumloser Schlaf, bewegungslos, dem Tode gleich. Schwere Glieder, mit Blei behangen, von Nacht
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