Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Titel: Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
so als sei Edith nicht mehr vorhanden: »Weitermachen oder aufgeben, Mylord?«
    Robert sah, dass Ediths Lippen bebten. Plötzlich fiel ihm auf, dass ihr Haar ganz zerzaust war, ihre Augen waren gerötet. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. Sie musste schnell geritten sein. Wo war sie überhaupt gewesen? Hatte sie geweint? Gab es schlechte Nachrichten von Papa? Er ärgerte sich, dass sie ihn am Boden gesehen hatte, und beschloss seine Ehre zu verteidigen. »Weitermachen«, sagte er daher trotzig. »Aber mit dem Holzschwert, damit es ein fairer Kampf ist.«
    »Einem Narren ist nicht zu helfen«, seufzte Edith und ging.
    Der Knappe grinste. Sie wechselten die Waffen. Wenige Augenblicke später erhielt Robert einen so harten Schlag auf die Finger, dass er dachte, sie müssten alle gebrochen sein.
    »Ups«, sagte der Knappe.

3
    A m selben Abend stand Edith am Schreibpult vor dem Fenster im Burgsaal und nutzte das letzte Tageslicht für ihre Arbeit am Familienstammbaum des Hauses Kyme. Das Kratzen ihres Gänsekiels auf dem großen Pergamentbogen entlockte Bruder Brion hie und da ein schmerzliches Zucken.
    Bruder Brion war ein irischer Mönch und Ediths und Roberts Lehrer. Kurz nach der Abreise ihres Vaters ins Heilige Land hatte er vor dem Tor gestanden, ein sommersprossiger Mann in einer Kutte, die irgendwie zu klein wirkte. In der Tasche hatte er ein Beglaubigungsschreiben mit dem Siegel Lord Wilfrids gehabt. Ediths und Roberts Vater hatte ihn in London kennengelernt und mit der Ausbildung seiner Kinder betraut, solange er auf Pilgerfahrt weilte.
    Brion hatte auch Lady Diane die Treue geschworen und es seither immer auf geheimnisvolle Weise geschafft, den Treueschwur nicht vor Victor zu wiederholen. Dennoch gab es für Edith keinen Zweifel, dass der Mönch dem Haus Kyme gegenüber absolut loyal war. Edith mochte ihn sehr, denn er war ein Genie in der Kunst, brenzlige Situationen zu entschärfen.
    Brion hatte Edith beigebracht, wie man schrieb und wie man die Anfangsbuchstaben von Kapiteln ausmalte – er nannte das »Illumination«. Edith hatte bereits Übung darin, Menschen, Tiere oder Gebäudeteile in die Auf- und Abschwünge der Buchstaben einzufügen. Allerdings war sie noch weit von der Perfektion entfernt, die sie gerne besessen hätte. Und heute war sie zu aufgewühlt, um die Feder mit der nötigen Leichtigkeit zu führen. Der Kiel quietschte und schrappte und manchmal spritzte die Tinte.
    »Ohne Begleitmusik, bitte!«, seufzte Bruder Brion und rieb sich ein paar schwarze Sprenkel mit dem Kuttenärmel aus dem Gesicht.
    Als Edith die schnellen Schritte Lady Dianes auf dem Holzfußboden hörte, wandte sie sich um. Sie steckte die Feder in den kleinen Tonbehälter, der an der Seite des Schreibpults befestigt war, und schluckte. Ein Blick ins Gesicht ihrer Mutter sagte ihr, dass der Ärger für heute nicht vorbei war. Victor d’Aspel betrat nach Diane den Saal. Er grinste übers ganze Gesicht.
    Victor sah verwegen aus wie viele Normannen – groß, mit langen Gliedern, einem kantigen Gesicht und tiefblauen Augen. Wenn er und Lady Diane nebeneinanderstanden, erkannte man, dass sie aus einem Volk waren. Sie waren ein schönes Paar. Während Diane neben Ediths Schreibpult stehen blieb, trat Victor zur Fensteröffnung und schaute hinaus. Er liebte es, so zu tun, als ginge ihn alles nichts an, um sich dann unerwartet ins Gespräch zu mischen. Brion beobachtete ihn mit ausdrucksloser Miene.
    »Du warst bei der alten Hexe!«, schnaubte Diane ohne jede Begrüßung.
    »Wer sagt das?«
    »Du warst dort, so viel steht fest. Also hör auf zu lügen, junge Dame!«
    Irgendwer hatte geplaudert. Edith hätte es sich denken sollen. Victor hatte einige Bedienstete aus seiner Heimat mitgebracht, die den lieben langen Tag herumschnüffelten.
    »Ich habe nicht gelogen, Mama. Ich habe nur gefragt, wer …«
    »Lass diese Vertraulichkeiten! Wir sind nicht unter uns. Du bist Lady Edith, keine Bauernmagd. Und ich bin für dich Mylady Diane.«
    »Ja, Mylady«, sagte Edith. Es fiel ihr schwer, ihren Zorn zu unterdrücken. Was waren das für neue Sitten? Lord Wilfrid hatte nichts dabei gefunden, mit seinen Hunden über den Boden zu rollen, Robert freundschaftlich zu knuffen oder Edith einen Kuss aufs Haar zu geben. Und jetzt sollte sie ihre Mutter im Plural anreden, wenn Zeugen zugegen waren?
    »Ich will nie wieder erleben, dass du dich bei den Pächtern herumtreibst, und schon gar nicht bei dieser alten Hexe. Das ist unserem Haus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher