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Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Titel: Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Autoren: Richard Dübell
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damals beim Abschied, spürte ihre Tränen und das Zittern, das ihr jüngerer Bruder Robert zu unterdrücken versuchte. Sie sah das kühle, ebenmäßige Gesicht ihrer Mutter, das sich ihrem Ehemann zum Kuss entgegenneigte; sie sah, wie der Vater sich aufs Pferd schwang und mit seinem Knappen davonritt auf Pilgerfahrt ins Heilige Land. Vier Monate später hatte Edith fassungslos die Nachricht des Boten entgegennehmen müssen: Lord Wilfrid war auf See verschollen. Er hatte das Heilige Land nicht einmal erreicht. Wiederum zwei Monate später war ein Ritter mit seinem Knappen und ein paar Soldaten auf Burg Kyme eingetroffen. Ediths Mutter hatte ihn stürmisch begrüßt. Edith war es so vorgekommen, als hörte sie ihre Mutter zum ersten Mal im Leben befreit und herzlich lachen.
    Sie blinzelte und der Bann der Erinnerung erlosch.
    Brida nickte, als hätte sie dieselben Bilder gesehen. Und wer weiß, dachte Edith, vielleicht verfügt sie ja wirklich über magische Kräfte …
    »Eure Mutter, Kindchen«, begann die alte Frau sanft. »Lady Diane …«
    »Sie will wieder heiraten!«, stieß Edith hervor. »Der alte König hat sich nicht mehr um ihre Gesuche gekümmert, weil er schon zu erschöpft und krank war. Meine Mutter und die alte Königin Aliénor sind miteinander verwandt. Aber sobald Aliénors Sohn, Richard Plantagenet, zum neuen König gekrönt ist, wird sie es wieder versuchen. Dann wird mein Vater für tot erklärt!«
    »Das Land braucht einen Herrn, Mylady Edith«, sagte Brida. »Dem Land ist es egal, welche Sprache er spricht.«
    »Mir ist es nicht egal!«, stieß Edith hervor. »Und mir ist es zweimal nicht egal, wenn sich herausstellen sollte, dass Papa noch lebt! Und deshalb muss ich es wissen, Brida: Lebt Lord Wilfrid oder ist er tot?«
    Brida seufzte und kramte aus einem Beutel einen dün-nen geflochtenen Bindfaden hervor. Edith sah ihn schimmern – vielleicht war es Pferdehaar, vielleicht aber auch Menschenhaar, lang und blassblond. Bridas Haar war schlohweiß, doch Edith hätte gewettet, dass sie als junge Frau blond gewesen war. Die Wahrsagerin wand den härenen Faden blitzschnell um die Finger der linken Hand, bis eine Art Spinnennetz entstanden war. Sie schüttete die Knochen aus dem Beutel in die Handfläche ihrer Linken und drehte sie samt den Knöchelchen und dem durch die Finger gewundenen Bindfaden um. Die Knöchelchen fielen durch das Netz auf den Tisch. Auch die, die zunächst hängen geblieben waren, klapperten heraus. Nur der Faden löste sich nicht. Brida musste die Finger mehrmals bewegen, bis auch er endlich auf den Tisch fiel.
    Brida nickte. »Ihr könnt das Schicksal nicht ändern«, murmelte sie. »Zu fest ist das, was geschehen wird, mit Euch verbunden.«
    »Was soll das heißen?«
    Brida begann sich hin und her zu wiegen. »Ich sehe einen toten Mann im Sand liegen«, flüsterte sie in heiserem Singsang. »Zweimal haben die Knochen ihn mir gezeigt. Ein toter Mann im Sand, und er stirbt Euretwegen, Mylady.«
    »Ist es … Papa?«, stotterte Edith mit tauben Lippen.
    Brida schüttelte den Kopf. Ihr Oberkörper pendelte vor und zurück.
    Edith hörte ihr eigenes Herz pochen, ein angstvoller Trommelschlag, zu dem sich Brida wiegte. Die Luft in der Hütte schien sich weiter zu verdichten, das Feuer brannte schwächer, die Dunkelheit kam zurück. Der alte Fuchs knurrte im Schlaf.
    »Zu weit«, murmelte Brida, »die Seele von Lord Wilfrid ist zu weit weg von allem, was die Knochen erreichen können. Es ist ein anderer Mann, der tot zu Euren Füßen liegt, Mylady, ein anderer Mann …«
    Edith wollte fragen: Wer!? , aber sie brachte keinen Ton heraus.
    »Er trägt einen Panzer und einen Waffenrock«, sang Brida. »Der Tote zu Euren Füßen, der um Euretwillen stirbt, trägt das Gewand eines Ritters, Mylady. Aber seine Waffen sind die eines Königs.«
    Die Alte richtete so unvermittelt den Oberkörper auf, dass Edith zusammenzuckte. Bridas Hand schnellte über den Tisch und packte Ediths Rechte. Sie durchbohrte das Mädchen mit ihren Blicken.
    »Ich habe den jungen König Richard erschlagen zu Euren Füßen liegen sehen, Mylady! Und Ihr seid es, um derentwillen er stirbt!«

2
    R obert de Kyme versuchte sich an die Bewegungen zu erinnern, die sein Vater ihm beigebracht hatte: Block oben, Block unten, Seitschritt, Drehung, Ausfallschritt, Stoß! Doch was immer Robert auch anstellte, um die Deckung seines Gegners zu durchbrechen, der normannische Knappe parierte gekonnt. Robert schwitzte und
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