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Lockruf der Toten / Magischer Thriller

Lockruf der Toten / Magischer Thriller

Titel: Lockruf der Toten / Magischer Thriller
Autoren: Kelley Armstrong
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schauderte bei der Vorstellung, was für Umbauten die Arbeiter an dem Haus vornahmen. Nach allem, was ich gehört hatte, würden die Eigentümer sich nicht beschweren – sie brauchten das Geld dringend. Das »offizielle« Gerücht sprach von einem fehlgeschlagenen Filmprojekt; meinen Quellen nach ging es jedoch eher um eine Art Babyprojekt – die ungeplante Schwangerschaft des Kindermädchens. Boulevardzeitungen mussten zum Schweigen gebracht, eine junge Frau finanziell zufriedengestellt, eine Ehefrau versöhnt werden – all das konnte sehr teuer sein.
    Als ich an einem jungen Mann vorbeikam, der gerade den Hausflur vermaß, nickte ich ihm zu, und ihm fiel der Unterkiefer herab.
    »M-Ms. Vegas? Jaime Vegas?«
    Ich wandte mich ihm zu und schenkte ihm ein Tausend-Watt-Lächeln, das ich nicht zu spielen brauchte. Oberflächlich von mir, ich weiß, aber nichts baut das Ego so auf wie das fassungslose Stieren eines Mannes, der halb so alt ist wie man selbst.
    »Herrgott, das sind ja wirklich Sie.« Er kam angestürzt, um mir die Hand zu geben. »Könnte ich …? Ich weiß, es ist nicht gerade professionell, das zu fragen, aber wäre es möglich, dass Sie mir irgendwann vielleicht ein Autogramm geben?«
    »Natürlich. Im Moment muss ich in eine Besprechung, aber Sie können sich jederzeit eins abholen. Bringen Sie mir einfach irgendwas, das ich unterschreiben kann. Oder wenn Sie lieber ein Foto hätten …«
    »Ein Foto wäre toll.«
    Mein Lächeln wurde noch breiter. »Ein Foto dann also. Ich habe ein paar bei mir im Zimmer.«
    »Danke. Grandpa wird begeistert sein. Er ist so ein Fan von Ihnen. Er hat es sowieso mit Rothaarigen, aber Sie sind seine Favoritin. Seine Kumpel im Altenheim finden Sie alle heiß.«
    Genau das, was ich am ersten Tag eines neuen Jobs gebraucht hatte: eine Erinnerung daran, dass ich nach Hollywood-Zeitrechnung bereits zehn Jahre über meinem Verfallsdatum war.
    Aber ich lächelte weiter. Noch eine Minute Konversation und das Versprechen, eine Handvoll Fotos für den Opa und seine Kumpels zu signieren, dann ging ich weiter.
    Als ich mich dem Esszimmer näherte, hörte ich eine kultivierte britische Stimme zetern: »Weil es einfach lächerlich ist. Darum. Mr. Grady ist ein Experte. Er wird hier nicht öffentlich vorgeführt.«
    Bevor ich die Tür aufstieß, versuchte ich mir die Sprecherin vorzustellen: eine gepflegte, elegante Frau in einem Kostüm, etwa in meinem Alter und Effizienz in Wellen versprühend. Ich trat ein, und da stand sie – kurzes blondes Haar, schmale Lippen, klein und drahtig, als wäre jedes zusätzliche Gramm ein Zeichen von Weichheit, das sie sich nicht leisten konnte. Eisig grüne Augen blitzten hinter ihren winzigen Brillengläsern. Persönliche Assistentin Typ A: der Rottweiler, eigens dafür geschaffen, im Interesse ihres Arbeitgebers allen die Hölle heiß zu machen, so dass er selbst den reizenden, entgegenkommenden Star spielen konnte.
    Ihr gegenüber stand eine jüngere Frau, vielleicht dreißig, plump, mit schulterlangem Haar und verschreckten Augen. Regisseurin Typ C: die überforderte Anfängerin.
    Das Esszimmer war, wie fast das ganze Haus, im Hinblick auf die Dreharbeiten neu »dekoriert« worden. Die Besitzer hatten alles entfernt, was sie vor Beschädigungen schützen wollten, und insofern waren auch Esstisch und Stühle durch billigere Möbel ersetzt worden. Was den Toten anging, der am Kronleuchter baumelte, so ging ich davon aus, dass er zum festen Inventar des Hauses gehörte und vermutlich nur durch den einen oder anderen Exorzismus zu entfernen gewesen wäre.
    Der Erhängte war um die fünfzig, mittelgroß, aber mit schweren Kinnbacken, als habe er innerhalb von kurzer Zeit stark abgenommen. Er schwankte leicht an einem antiken Kristallkronleucher, dessen durchsichtiges Bild die moderne Deckenlampe überlagerte. Sein Gesicht war fleckig und aufgedunsen, die Augen glücklicherweise geschlossen.
    Ich musterte ihn von der Tür aus, damit ich nicht in Versuchung geriet, zu ihm hinaufzustarren, wenn ich erst im Zimmer war. Nach dreißig Jahren des Geistersehens beherrscht man sämtliche Kniffe.
    Dieser hier war allerdings kein Geist, sondern nur noch ein Nachbild. Welche Tragödie hatte ihn zu einem emotional so verheerenden Ende getrieben, dass sich das Bild diesem Raum dauerhaft eingebrannt hatte? Ich rief mich zur Ordnung. Die Wissbegier würde mir in keiner Weise nützen. Wenn man solche Dinge jeden Tag sieht, kann man nicht stehen bleiben und
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