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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Autoren: Melanie Vogltanz
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Die MONDSCHEINGASSE war ein beunruhigender
Ort. Obwohl sie nur von verlassenen Häusern gebildet wurde, von denen jedes
einzelne ein fabelhaftes Versteck für Stadtstreicher und Obdachlose dargestellt
hätte, waren die Straßen zu jeder Tageszeit menschenleer. Selbst der Abschaum
der Gesellschaft spürte die düsteren Energien, die sich in jeder Spalte im
Verputz der Villen festgefressen hatten.
    Wehmütig ließ Eloin
den Blick über die vergessenen Behausungen schweifen. Hier würde also alles ein
Ende finden, an diesem von Gott verlassenen Ort, an dem nur noch schlechte
Erinnerungen lebten. Dies hier war einst eines der reichsten Viertel der Stadt gewesen.
Die Gärten und Villen erschienen Eloin widernatürlich pompös, mehr für Riesen
gemacht denn für Menschen. Die Größe hatte die Zeit überdauert, aber von der
einstigen Pracht war nicht einmal mehr ein Schatten geblieben. Eines Tages
hatten die Bewohner der MONDSCHEINGASSE ihr Zuhause beinahe fluchtartig verlassen
– so überstürzt, dass man noch heute Lebensmittelreste in den Küchen fand, die
vom Schimmel so gründlich zersetzt worden waren, dass sie wie Überbleibsel
einer anderen Wirklichkeit erschienen. Eingangstüren waren unverschlossen,
durch offenstehende oder zerbrochene Fenster bliesen die Gezeiten Laub und den
Staub des Vergessens.
    Seit jenem Tag hatte
sich über diesen Teil der Stadt eine riesige, schwarze Glocke gestülpt, die scheinbar
alle Helligkeit aussperrte und ein Gefühl der Beklemmung in jenen Menschen
wachrief, die sich zu nah an diesen Ort heranwagten. Man spürte, was sich hier
zugetragen hatte – selbst die Ratten mieden die Villen, als wären sie mit Giftgas
gefüllt.
    Eloin schloss die
Hände fester um das warme Bündel in ihren Händen und versuchte, ein Schlaflied
zu summen, musste jedoch abbrechen, da sie die Melodie nicht fand. Tief atmete
sie die schicksalsschwere Luft ein, die sie umgab, sammelte ihre
herumwirbelnden Gedanken. Wie stets bei diesem Versuch drängte sich das
quälende Warum in ihren Hinterkopf und blieb – ebenfalls wie stets – unbeantwortet.
    Wie ein Fuchs, der
sich den Fuß abbeißt, nachdem sich die stählernen Zähne der Falle des Jägers
darin eingegraben haben, war Eloin voll Schmerz und Verwirrung über ihr
Schicksal. Sie verstand nicht, woher die Falle gekommen war oder wer sie
platziert hatte, konnte sich nicht erklären, wie sie es verdient hatte, von ihr
gebissen zu werden, aber auch ohne dieses Verständnis musste sie sich zwingen,
darauf zu reagieren – ein Bein opfernd, um ihr Leben und das der ihren zu
schützen.
    Wieder begann sie zu
summen: Guten Abend, gut´ Nacht. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du
wieder geweckt.
    Wenn! , hallte es in Eloins Kopf nach. Wenn …
    Nein, sie konnte
unmöglich nachvollziehen, was die Polizei auf ihre Spur gelockt hatte, begriff
nicht, wie die Beamten auf den Gedanken gekommen waren, dass man jener kleinen
Vereinigung sonderbarer Menschen mit Fackel und Heugabel zu Leibe rücken, in
einem Zeitalter, in welchem die Grausamkeiten des Mittelalters verlacht wurden.
Es stimmte, Eloin und der Zirkel ließen sich nicht in eine der vom Staat
bereitgestellten Schubladen ablegen wie der Rest der Bevölkerung, aber niemals
hatten sie sich irgendetwas zuschulden kommen lassen. Ganz im Gegenteil war ihr
Lebensstil weit friedfertiger als der gewöhnlicher Menschen, der Gedanke an
Gewalt erfüllte sie sogar mit Abscheu.
    Das allerdings
schien keine Rolle zu spielen in der eiskalt kalkulierten Gleichung der
Behörden, in welcher der Zirkel erbarmungslos eliminiert wurde. Alles, was die
starrköpfigen Menschen der Moderne nicht kannten, machte ihnen Angst – eine
Angst, die nur allzu schnell in Abscheu umschlagen konnte. Und genau das war in
dieser Stadt geschehen.
    Es war also gekommen,
wie es hatte kommen müssen: Es hatte die ersten Toten gegeben. Die Falle war
zugeschnappt, ihre stählernen Kiefer waren tief in den Leib ihrer Gemeinde
gedrungen, hatten sie bluten lassen.
    Mit einem leisen
Stöhnen brach Eloin ihr Schlaflied ab und schloss die Augen. Anstatt zu
verschwinden, erwachten die grässlichen Bilder hinter ihren Lidern zu neuem
Leben. Sie sah blasse, in Schweiß gebadete Gesichter, Augen, die vor Furcht
schwarz gefärbt waren. Und sie sah Blut, Blut auf den Straßen und auf nackter
Haut, Blut auf ihrem einst so friedlichen Leben.
    Langsam öffnete sie
die Augen wieder, ließ sie über die verlassenen Straßen der MONDSCHEINGASSE
schweifen. Sie setzte
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