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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz
Autoren: Walter M. jr. Miller
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zu rasch für ihn, und die Anstrengung brachte ihm eine Ohnmacht ein. Als er ins Bewußtsein zurückglitt und während er seinen Kopf hob, konnte er nur verschwommen sehen. Sie kniete immer noch da und sah ihn an. Schließlich konnte er erkennen, daß sie den goldenen Becher in der linken Hand hielt und in der Rechten, zart zwischen Daumen und Zeigefinger, eine einzelne Hostie. Sie bot sie ihm an, oder bildete er sich das nur ein, wie er sich vor einer Weile eingebildet hatte, er spräche mit Bruder Pat?
    Er wartete, daß die Verschwommenheit aufhöre. Dieses Mal wurde sie nicht deutlicher, nicht ganz jedenfalls. »Domine, non sum dignus«, flüsterte er, »sed tantum dic verbo…«
    Er empfing die Oblate aus ihrer Hand. Sie legte den Deckel wieder auf das Ciborium und stellte das Gefäß an einen sichereren Ort unter einen vorspringenden Steinblock. Sie hatte nicht die gebräuchlichen Gesten, doch die ehrfurchtsvolle Vorsicht, mit der sie die Handlung vollzogen hatte, überzeugte ihn wenigstens davon: sie spürte die Heilige Gegenwart unter den Schleiern. Sie, die noch keine Worte gebrauchen noch sie verstehen konnte, hatte getan, was geschehen war, wie durch direkte Unterweisung, als Antwort auf seinen Versuch einer bedingten Taufe.
    Er versuchte seinen Blick zu konzentrieren, um dieses Gesicht, dieses Wesen noch einmal zu sehen. Dieses Wesen, das ihm durch Gesten allein gesagt hatte: Ich brauche dein Erstes Sakrament nicht, Mensch, aber ich bin würdig, dir dieses Sakrament des Lebens zu spenden. Jetzt wußte er, was sie war, und er schluchzte schwach, da es ihm nicht gelingen wollte, seinen Blick auf diese kühlen grünen und sorglosen Augen eines Wesens zu richten, das frei geboren war.
    »Magnificat anima mea Dominum«, flüsterte er. »Meine Seele preiset den Herrn, und mein Geist erfreuet sich in Gott, meinem Retter; denn er hat gesehen die Niedrigkeit Seiner Magd…«
    Er wollte sie diese Worte lehren, als letzte Handlung auf Erden, denn er war sicher, daß sie etwas mit der Jungfrau gemeinsam hatte, die diese Worte zuerst gesprochen hatte.
    »Magnificat anima mea Dominum et exultavit Spiritus meus in Deo, salutari meo, quia respexit humilitatem… «
    Er kam außer Atem, ehe er enden konnte. Seine Sicht trübte sich; er konnte die Gestalt nicht länger erkennen. Doch kühle Finger berührten seine Stirn, und er hörte sie ein Wort sagen:
    »Lebe!«
    Dann war sie verschwunden. Er konnte ihre Stimme hören, wie sie in den neuen Ruinen davonglitt. »Lalalalala…«
    Das Bild dieser kühlen grünen Augen verblieb bei ihm, solange er noch lebte. Er fragte sich nicht, warum Gott beschlossen haben sollte, ein Geschöpf mit der Urunschuld aus Mrs. Grales’ Schulter zu erwecken, oder warum Gott diesem Geschöpf die übernatürlichen Gaben des Paradieses verlieh – jene Gaben, die der Mensch mit brutaler Gewalt dem Himmel wieder entreißen wollte, seit er sie zum erstenmal verloren hatte. Er, Zerchi, hatte die Urunschuld in diesen Augen gesehen und ein Versprechen der Auferstehung. Ein Blick von ihr war eine Andeutung davon gewesen, eine Wohltat, und er weinte vor Dankbarkeit. Später dann lag er mit dem Gesicht im nassen Dreck und wartete.
    Aber nichts mehr kam – nichts, was er sah oder spürte oder hörte.
     

30
     
    Sie sangen, während sie die Kinder in das Schiff hoben. Sie sangen alte Raum-Shanties und halfen den Kindern nacheinander die Stufen hinauf und übergaben sie oben den Schwestern. Sie sangen herzhaft, um die Furcht der Kleinen zu zerstreuen. Als der Horizont zerbrach, hörte das Singen auf. Sie hoben das letzte Kind ins Schiff. Der Horizont füllte sich mit Blitzen, als die Mönche die Leitern hinaufeilten. Die Horizonte wurden ein rotes Glühen. In der Ferne wurde eine Wolkenbank geboren, wo zuvor keine Wolke gewesen war. Die Mönche auf der Leiter blickten weg von den Blitzen. Als die Blitze aufhörten, blickten die Mönche wieder hin.
    Das Angesicht Luzifers erhob sich in pilzförmiger Häßlichkeit über der Wolkenbank, wuchs langsam in die Höhe wie ein Titan, der nach Jahren der Einkerkerung in den Tiefen der Erde nun auf die Füße kletterte. Jemand bellte einen Befehl. Die Mönche stiegen weiter. Bald waren sie alle im Schiff.
    Der letzte Mönch blieb in der Luke stehen, bevor er hineinging. Er stand im offenen Einstiegloch und löste seine Sandalen. »Sic transit mundus«, murmelte er und schaute zurück in die Glut. Er schlug die Sohlen seiner Sandalen zusammen, so daß der Schmutz
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