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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz
Autoren: Walter M. jr. Miller
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mußte. Sobald er sich jener Finsternis ergeben hatte, würde es nichts geben, was er tun, nichts, was er ungeschehen machen könnte.
    Voll Scham über seine Furcht versuchte er zu beten, doch seine Gebete schienen ihm irgendwie ungebethaft – wie Entschuldigungen, nicht wie Bitten –, als wäre das letzte Bittgebet schon gesprochen worden, der letzte Lobgesang schon gesungen. Die Angst blieb. Warum 1 Er versuchte es vernünftig anzupacken. Du hast doch schon Leute sterben sehen, Jeth. Viele Menschen sterben sehn. Es sieht doch so einfach aus. Sie nehmen allmählich ab, und dann gibt es ein paar kleine Spasmen, und es ist vorbei. Dieses tintenschwarze Nichts – der Abgrund zwischen aham und Asti – der schwärzeste Styx, der Abgrund zwischen dem Herrn und dem Menschen. Hör mal, Jeth, du glaubst doch wirklich, daß drüben auf der anderen Seite Etwas ist, nicht wahr? Dann sag mir, warum du so zitterst.
    Eine Strophe aus dem Dies Irae glitt ihm durch den Kopf, sie quälte ihn:
     
    Quid sum miser tunc dicturus?
    Quem patronum rogaturus,
    Cum vix justus sit securus?
     
    »Was soll ich, der Elende, dann sagen? Wen soll ich bitten, mein Fürsprecher zu sein, da sogar der Gerechte kaum sicher ist?« Vix securus? Warum »kaum sicher?« Zweifellos würde ER doch den Gerechten nicht verdammen? Warum also zitterst du so?
    Wirklich, Doktor Cors, der Böse, auf das sogar Sie sich hätten beziehen sollen, ist nicht das Leiden, sondern die blinde Furcht vor dem Leiden. Metus doloris. Nimm es zusammen mit seinem positiven Äquivalent, der Sehnsucht nach weltlicher Sicherheit, nach dem Paradies, und dann hast du deine »Wurzel des Übels«, Doktor Cors. Den Schmerz zu verkleinern und die Sicherheit zu vergrößern, das waren natürliche und angemessene Ziele der Gesellschaft und Cäsars. Aber dann wurden aus ihnen irgendwie die einzigen Ziele und die einzige Grundlage der Gesetze – eine Perversion. Und unausweichlich fanden wir, indem wir nur sie verfolgten, ihr Gegenteil: ein Maximum an Leid und ein Minimum an Sicherheit.
    Das Schlimme an der Welt – bin ich! Probieren Sie sich das mal an, mein lieber Cors. Sie, ich, Adam-Mensch-wir… Kein »weltliches Übel« gibt es außer dem vom Menschen selbst in die Welt gebrachten - von mir, dir, Adam, uns – mit ein bißchen Hilfe vom Vater der Lüge. Beschuldigen Sie alles, beschuldigen Sie sogar Gott, aber bitte beschuldigen Sie nicht mich. Doktor Cors? Das einzige Übel, das es jetzt in der Welt gibt, Doktor, ist die Tatsache, daß es die Welt nicht mehr gibt. Welch Schmerz hat dies bewirkt? Er kicherte schwächlich in sich hinein, und dies brachte wieder die Tintenschwärze.
    »Ich, wir Adam, aber-Christ, Mensch-ich; ich-wir-Adam, aber-Christ-Mensch-ich«, sagte er laut. »Weißt du was, Pat? - Sie… würden… lieber… zusammen draufgenagelt werden, nicht allein… wenn sie bluten… wollen Gesellschaft. Weil… Weil warum es ist. Warum weil es ist das gleiche wie Satan den Menschen voll Hölle will. Ich meine das gleiche wie Satan die Hölle voll vom Menschen will. Weil Adam… Und doch Christus… Aber immer noch ich… Hör, Pat…«
    Diesesmal dauerte es länger, die Finsternis zu vertreiben, doch er mußte Pat das alles erklären, ehe er ganz in ihr untergehen durfte. »Hör zu, Pat, weil… warum ich ihr gesagt hab, daß das Kleine… ist warum ich. Ich meine. Ich meine, Jesus hat von keinem Menschen irgendwas, zum Kuckuck noch mal, verlangt, was Jesus nicht selber getan hat. Das gleiche wie warum ich. Warum ich nicht loslassen kann. Pat?«
    Er zwinkerte mehrmals. Pat verschwand. Die Welt erstarrte wieder, und die Finsternis war vorbei. Irgendwie hatte er entdeckt, wovor er sich fürchtete. Es gab etwas, das er noch vollenden mußte, bevor sich die Finsternis über ihm endgültig schließen durfte. Guter Gott, laß mich lang genug leben, es zu vollenden! Er fürchtete, er könne sterben, ehe er so viel Schmerzen akzeptiert hatte wie jene, die das kleine Kind zu ertragen hatte, das sie nicht verstand, das Kind, das er zu retten versucht hatte für weitere Schmerzen – nein, nicht für weitere Schmerzen, sondern trotz ihrer. Er hatte der Mutter im Namen Christi befohlen. Er hatte nicht unrecht gehabt. Doch nun hatte er Furcht, er könnte in die Finsternis gleiten, ehe er soviel erduldet hätte, wie Gott ihm zu erdulden helfen würde.
     
    Quem patronum rogaturus,
    Cum vix justus sit securus?
     
    Laß es für das Kind und seine Mutter sein. Was ich auferlege, muß ich
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