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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz
Autoren: Walter M. jr. Miller
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umzusehen.
    Francis duckte sich tief nieder.
    Zwischen den Hügelketten, wo einst eine Gruppe uralter Gebäude gewesen war, gab es keinen Schatten. Einige der größeren Trümmer würden jedoch ausgesuchten Körperteilen trotzdem kühlende Erfrischung gewähren können, wenn man als Reisender in den Dingen der Wüste so erfahren war, wie der Pilger sich gleich erweisen sollte. Er sah sich rasch nach einem Stein von geeigneter Größe um. Beifällig beobachtete Bruder Francis, daß er den Stein nicht einfach packte und hastig daran zerrte, sondern statt dessen in sicherer Entfernung davor stehend seinen Stab als Hebel und einen kleineren Stein als Drehpunkt benutzte, und den schweren Stein so lange hin-und herwuchtete, bis das unvermeidliche, zischende Tier darunter hervorschoß. Leidenschaftslos erschlug der Reisende die Schlange mit seinem Knüttel und schleuderte den noch zuckenden Körper beiseite. Nachdem er so die Bewohnerin der kühlen Spalte erledigt hatte, bediente sich der Pilger der weniger heißen Deckfläche der Spalte auf die gewöhnliche Art, indem er den Stein umstürzte. Darauf zog er den hinteren Teil seines Lendentuches in die Höhe, ließ sich mit seinem schlaffen Sitzfleisch auf die verhältnismäßig kühle Unterseite des Steins nieder, streifte seine Sandalen von den Füßen und stemmte seine Sohlen gegen den sandigen Boden der gerade noch kühlen Spalte. So erfrischt wackelte er mit den Zehen, grinste zahnlos, begann sogar ein Lied zu summen. Bald flötete er in einem Dialekt, der dem Novizen unbekannt war, einen süßlichen Sang. Bruder Francis wurde seines Kauerns überdrüssig und regte sich unruhig.
    Unterm Singen wickelte der Pilger trockenes Brot und einen Bissen Käse aus. Dann unterbrach er sein Singen und stand für einen Augenblick auf, um in der Mundart der Gegend leise zu rufen: »Gesegnet sei Adonoi Elohim, der Herr aller Dinge, der das Brot aus der Erde wachsen läßt.« Fast wie nasales Meckern klang es. Das Meckern war beendet; er setzte sich wieder und begann zu essen.
    Der Wanderer muß tatsächlich einen langen Weg hinter sich haben, dachte Bruder Francis. Er wußte von keinem benachbarten Reich, das von einem Monarchen mit so ungewohntem Namen und in so merkwürdiger Anmaßung regiert wurde. Bruder Francis mutmaßte, daß der alte Mann auf Pilgerfahrt sei – vielleicht zu den Reliquien der Abtei, obwohl sie noch nicht offiziell zu den Reliquien galten, so wie auch ihr Heiliger noch kein offizieller Heiliger war. Bruder Francis konnte sich die Gegenwart eines uralten Wanderers auf dieser Straße, die nirgendwohin führte, nicht anders erklären.
    Der Pilger ließ sich Zeit mit Brot und Käse; der Novize wurde, als seine Angst nachgelassen hatte, von wachsender Unruhe geplagt. Das Schweigegebot der Fastenzeit erlaubte ihm nicht, von sich aus mit dem Alten ein Gespräch zu beginnen. Wenn er aber sein Versteck hinter dem Schutthaufen verließe, bevor der Alte aufbräche, würde er sicher vom Pilger gesehen oder gehört werden, denn es war ihm untersagt worden, die Umgebung seiner Einsiedlerklause vor Beendigung der Fastenzeit zu verlassen.
    Bruder Francis zögerte noch etwas, räusperte sich dann aber laut und kam aufrecht in Sicht.
    Gleich flogen da Brot und Käse des Pilgers zu Boden. Der Alte riß den Knüttel an sich und sprang auf seine Füße.
    »Mich anschleichen, was!«
    Drohend schwang er seinen Knüttel gegen die verhüllte Gestalt, die hinter dem Steinhaufen aufgestanden war. Bruder Francis sah, daß das dicke Ende des Stabes mit einer Metallspitze bewehrt war. Höflich verneigte sich der Novize dreimal, aber der Pilger schenkte dieser feinen Geste keine Aufmerksamkeit.
    »Bleib, wo du bist!« krächzte er. »Bleib mir bloß vom Leib, du Ungeheuer. Ich habe nichts, worauf du aus sein könntest – höchstens den Käse, und den kannst du haben. Wenn du aber Fleisch willst, ich bestehe nur noch aus Knorpeln, aber ich werde für sie kämpfen! Zurück jetzt! Zurück!«
    »Warte…« Der Novize verstummte. Nächstenliebe oder sogar allgemeine Höflichkeit konnten dem Schweigegebot der Fastenzeit den Vorrang nehmen, wenn die Umstände nach Sprache verlangten. Jedoch das Schweigen nach eigenem Gutdünken zu brechen machte Francis immer leicht unruhig.
    »Ich bin kein Ungeheuer, mein lieber Simpel«, fuhr er fort, unter Anwendung der Höflichkeitsanrede. Er schlug seine Kapuze zurück, zeigte seinen mönchischen Haarschnitt und hielt die Perlen des Rosenkranzes in die Höhe.
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