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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz
Autoren: Walter M. jr. Miller
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»Kennst du das?«
    Einige Sekunden lang blieb der Alte in katzengleicher Kampfbereitschaft und betrachtete das sonnenverbrannte Gesicht des halbwüchsigen Novizen eingehend. Daß der Pilger das Opfer eines Irrtums geworden war, lag in der Natur der Sache. Groteske Geschöpfe, die am Wüstenrand ihr Unwesen trieben, trugen oft genug Kapuzen, Larven oder bauschige Gewänder, um ihre Mißbildungen zu verbergen. Unter ihnen gab es auch solche, deren Mißbildungen nicht auf den Körper beschränkt waren, solche, die Reisende häufig als unversiegliche Quelle von Wildbret ansahen.
    Nach einem kurzen prüfenden Blick richtete sich der Pilger auf.
    »Ach so – einer von denen.« Er stützte sich auf seinen Stab und legte die Stirn in Falten. »Ist das da hinten die Abtei des Leibowitz?« fragte er, während er nach Süden auf eine weit entfernte Gruppe von Gebäuden zeigte.
    Bruder Francis verneigte sich höflich und nickte mit gesenktem Blick.
    »Was machst du hier draußen in den Ruinen?«
    Der Novize hob einen kreidigen Steinsplitter auf. Es war statistisch unwahrscheinlich, daß der Reisende lesen konnte, aber Bruder Francis entschloß sich zu einem Versuch. Da die rohen Umgangssprachen der Leute weder über Alphabet noch über Rechtschreibung verfügten, schrieb er die lateinischen Wörter für »Buße, Einsamkeit und Schweigen« auf einen großen flachen Stein, schrieb sie darunter noch einmal in altem Englisch und hoffte nur, trotz seiner uneingestandenen Sehnsucht nach einem Gesprächspartner, daß der alte Mann verstehen und ihn seiner einsamen Fastenvigilie überlassen möge. Der Pilger antwortete auf die Inschrift mit einem ironischen Lächeln. Sein Lachen war weniger ein Lachen als ein fatalistisches Meckern. »Hmmm-hnn! Ihr schreibt immer noch rückwärts!« sagte er. Aber er ließ sich nicht herab, zu zeigen, ob er die Inschrift verstanden hatte. Er legte seinen Stab zur Seite, setzte sich wieder auf den Steinbrocken, hob Brot und Käse aus dem Sand auf und kratzte den Schmutz ab. Francis leckte sich hungrig die Lippen, wendete sich jedoch ab. Seit Aschermittwoch hatte er nichts außer Kaktusfrüchten und gedörrtem Mais zu sich genommen. Bei den Vigilien der Berufung waren die Vorschriften des Fastens und der Enthaltsamkeit ziemlich streng.
    Sein Unbehagen wurde so offensichtlich, daß der Pilger Brot und Käse brach und ihm ein paar Happen anbot.
    Trotz seines ausgetrockneten Zustands, der auf den dürftigen Wasservorrat zurückzuführen war, lief dem Novizen das Wasser im Mund zusammen. Er konnte seine Augen nicht von der Hand wenden, die Speise anbot. Das Weltall zog sich zusammen: genau in seiner geometrischen Mitte schwebte der sandige Leckerbissen aus dunklem Brot und bleichem Käse. Ein Dämon befahl den Muskeln seines linken Beines, den linken Fuß einen halben Meter vorwärts zu bewegen. Dann wurde das rechte Bein vom Bösen besessen und setzte den rechten Fuß vor den linken. Irgendwie wurden die Brust-und Armmuskeln gezwungen, sich zu bewegen, bis seine Hand die des Pilgers berührte. Seine Finger betasteten das Essen, sie schienen das Essen sogar zu schmecken. Ein unfreiwilliges Schaudern durchfuhr seinen halbverhungerten Körper. Er schloß die Augen und sah, wie der Abt ihn mit Blicken durchbohrte, wie der Abt den Ochsenziemer schwang. Immer wenn der Novize versuchte, sich die Dreieinigkeit vorzustellen, verschmolz das Antlitz Gottvaters stets mit dem Gesicht des Abtes, das, wie ihm schien, für gewöhnlich sehr zornig war. Hinter dem Abt tobte ein Feuerbrand, aus dessen Mitte die Augen des seligen Märtyrers Leibowitz in schmerzlicher Todesangst auf seinen fastenden Schutzbefohlenen blickten, der beim Griff nach dem Käse ertappt worden war.
    Der Novize erschauerte wieder. »Apage Satanas!« zischte er, hüpfte zurück und ließ die Speise fallen. Ganz überraschend bespritzte er den alten Mann mit Weihwasser aus einer winzigen Kapsel, die er heimlich aus dem Ärmel gezogen hatte. Für Augenblicke war der Pilger in dem ein wenig sonnenbetäubten Kopf des Novizen vom Erzfeind ununterscheidbar geworden.
    Der Überraschungsangriff auf die Mächte der Finsternis und der Versuchung zeitigte keine unmittelbaren übernatürlichen Ergebnisse, aber die natürliche Wirkung schien sich ex opere operato einzustellen. Der beelzebübische Pilger unterließ es, in Schwefelschwaden zu zerfließen, doch gab er gurgelnde Töne von sich, nahm leuchtendrote Gesichtsfarbe an und stürzte sich mit haarsträubendem
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