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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz
Autoren: Walter M. jr. Miller
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ganz kleines bißchen vergebigen für SEINE Gerechtigkeit? Nachdem ich IHN um Vergebigung gebeten hab?«
    Dom Zerchi schluckte trocken. Er schielte hinunter nach ihrem zweiköpfigen Schatten auf dem Boden. Er deutete auf eine schreckliche Gerechtigkeit hin, dieser so geformte Schatten. Zerchi konnte sich nicht dazu überwinden, der Frau böse zu sein, weil sie das Wort vergeben gewählt hatte. In ihrer einfachen Welt war es vorstellbar, daß man der Gerechtigkeit ebenso vergab wie der Ungerechtigkeit, daß der Mensch Gott verzieh, wie Gott dem Menschen verzieh. So sei es denn, dachte er. Und habe Nachsicht mit ihr, Herr! Dann richtete er seine Stola.
    Sie machte eine Kniebeuge vor dem Altar, bevor sie sich in den Beichtstuhl begaben, und Zerchi bemerkte, daß sie beim Sichbekreuzigen Rachels Stirn genauso berührte wie ihre eigene. Er schob den schweren Vorhang beiseite, schlüpfte auf seine Seite des Beichtstuhls und flüsterte durch das Gitter:
    »Was suchst du, Tochter?«
    »Segen, Vater, denn ich habe gesündigt…«
    Sie sprach stockend. Er konnte sie durch die Gaze, die das Gitter bedeckte, nicht erkennen. Da war nur dies tiefe und rhythmische Jammern einer Evastimme. Das gleiche, das gleiche, immer und immer das gleiche, und sogar eine Frau mit zwei Köpfen konnte keine neuen Wege ausbrüten, dem Bösen schönzutun, sondern konnte nur eine Imitation ohne Verstand vom Original liefern. Da er immer noch voll Scham war über sein eigenes Verhalten mit dem Mädchen, den Polizisten und mit Cors, fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Aber seine Hände zitterten, als er zuhörte. Die Worte kamen in einem dumpfen, undeutlichen Rhythmus durch das Gitter, wie der Rhythmus von fernem Hämmern klang es. Nägel, die durch Hände getrieben werden, in Holz eindringen. Als alter Christus fühlte er das Gewicht jeder Bürde einen Augenblick lang, ehe er sie an den Einen weitergab, der sie alle trug. Da war die Geschichte mit dem Mann der Mrs. Grales. Es gab die trüben Dinge und Geheimnisse, die man in schmutziges Zeitungspapier wickeln mußte, um sie nachts einzugraben. Daß er nur ganz wenig wirklich verstand, schien das Entsetzen nur zu vergrößern…
    »Wenn Sie sagen wollen, daß Sie die Sünde der Abtreibung begangen haben«, flüsterte er, »muß ich Ihnen sagen, daß die Absolution dem Bischof vorbehalten ist, und ich kann nicht…«
    Er brach ab. Es war ein entferntes Grollen und das dünne zischende Weinen von Raketen zu hören, die von einer Abschußrampe gestartet wurden.
    »Der Grauenhafte! Der Grauenhafte!« wimmerte die alte Frau.
    Zerchis Kopfhaar richtete sich auf: ein plötzliches Kältegefühl, ein unsinniges Erschrecken. »Rasch! Einen Akt der Reue und Zerknirschung!« murmelte er. »Zehn Ave Maria, zehn Vaterunser als Buße. Sie müssen die Beichte später nochmals wiederholen, doch jetzt, schnell, einen Akt der Reue.«
    Er hörte sie auf der anderen Seite des Gitters murmeln. Rasch stieß er die Absolution hervor: »Te absolvat Dominus Jesus Christus; ego autem eius auctoritate te absolvo ab omni vinculo… Denique, si absolvi potes, ex peccatis tuis ego te absolvo in Nomine Patris…«
    Bevor er zu Ende war, schien plötzlich ein Licht durch den dicken Vorhang an der Tür des Beichtstuhls. Das Licht wurde heller und heller, bis der Beichtstuhl voller hellem Mittag war. Der Vorhang begann zu qualmen.
    »Warten Sie, was!« zischte er. »Warten Sie, bis es aufhört.«
    »Wartensie, wartensie, wartensie, bisesaufhört«, antwortete eine sanfte seltsame Stimme jenseits des Gitters. Es war nicht die Stimme von Mrs. Grales.
    »Mrs. Grales? Mrs. Grales?«
    Sie antwortete mit einem schwerzüngigen schläfrigen Gemurmel.
    »Ich hab nie wollen… ich hab doch nie wollen… nie lieben… Liebe…« Die Stimme verwehte. Es war nicht die Stimme, die ihm noch vor einem Augenblick geantwortet hatte.
    »Jetzt, schnell, laufen Sie!«
    Er wartete nicht ab, ob sie seiner Aufforderung Folge leistete, er stürzte aus dem Beichtstuhl und lief das Schiff hinunter auf den Altar zu. Das Licht war etwas schwächer geworden, doch es brannte noch immer auf der Haut wie mittägliche Sonnenglut. Wie viele Sekunden blieben noch? Die Kirche war voller Rauch.
    Er stürzte in den Altarraum, stolperte, ließ es als Kniebeuge gelten und trat an den Altar. Mit hastigen Händen nahm er das Ciborium mit den konsekrierten Hostien aus dem Tabernakel, beugte wieder das Knie vor der göttlichen Gegenwart, riß den Leib seines Gottes an sich
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