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Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft

Titel: Lob der Grenze - Kritik der politischen Unterscheidungskraft
Autoren: Paul-Zsolnay-Verlag
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jetzt geschieht, ist die Rückkehr zu einer vergessenen Normalität. Und diese erleben wir paradoxerweise als Krise.
    Diese Rückkehr zur Normalität zeigt sich in vielen Bereichen der Gesellschaft. Krisen, wenn es welche sind, holen die Fiktionen und Illusionen einer Gesellschaft zurück auf den Boden der Realität. Dafür muss man den Blick schärfen. Jetzt zeigt sich: Ohne Staat, das heißt ohne politische Entscheidungen, geht nichts. Egal, was man den Märkten alles zutraut und wie man die Ursachen der Krise definiert: Dass der Ausweg nur über staatliche Interventionen, Garantien und Bürgschaften führen kann, war bald klar. Wie schnell sich allerdings die ehemaligen Propagandisten der freien Märkte nun bei dem lange lächerlich gemachten Staat um Aushilfszahlungen, ja sogar um Teilverstaatlichungen anstellten, ist einigermaßen verdächtig. Wer so schnell seine Gesinnung ändert, hatte offenbar gar keine – oder er ändert sie gar nicht, sondern holt sich nur, wo es etwas zu holen gibt. Die beliebte These, dass nun der Staat – also die verpönte öffentliche Hand – einspringen soll, um zu retten, was zu retten ist, um dann, wenn die Krise vorbei ist, sich vornehm und ausgeblutet zurückzuziehen, um dem privaten Gewinnstreben wieder das Feld zu überlassen, ist nicht nur ein wenig frivol, sondern zeugt vor allem davon, dass wir von einer wirklichen Renaissance des Politischen und der politischen Unterscheidungs- und Entscheidungskraft sowie einer damit verbundenen Neutralisierung des Primats der Ökonomie noch weit entfernt sind. Eher drängt sich manchmal die Vermutung auf, dass die Krise bewusst auch beschworen wurde, um mit ihrer Hilfe das zu bekommen, was ohne Krise nur schwer möglich gewesen wäre. Erst jetzt sind sogenannte schmerzhafte Einschnitte kein Problem mehr, denn wer wollte in einer schweren Krise noch überzogene Forderungen stellen? Natürlich hat jede Krise disziplinierende Wirkung, und manche Rede zur Krise, vor allem die rituell gewordenen Aufrufe zum Sparen, kann ihre Nähe zur barocken Predigt auch nicht verleugnen.
    Die Rückkehr zur Normalität zeigt sich aber auch darin, dass auch die virtuelle Ökonomie hart auf die Realität geprallt ist. Es ist noch immer die Irritation der Realwirtschaft und dort in erster Linie die klassische industrielle Produktion, die den Maßstab für die Tiefe der Krise abgibt und wo auch die schärfsten sozialen Auswirkungen zu spüren sind. Von der Wissensgesellschaft sind wir in der Krise weiter entfernt denn je; und wäre es nicht so traurig, dann könnte man auch darüber staunen, dass gerade auch von Unternehmerseite, die sich ja schon ständig in der Zukunft wähnte, nun Krisenbewältigungsvorschläge kommen, die ganz an den frühkapitalistischen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts orientiert sind: Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung, bei gleichzeitiger realer Kurzarbeit und tendenzieller Massenarbeitslosigkeit. Es mag schon stimmen, dass nur durch solche Maßnahmen kurz- oder mittelfristig die Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann; aber man muss das weder ein zukunftsorientiertes Konzept noch eine postindustrielle Gesellschaft nennen. Auch hier gilt es, zu unterscheiden und eine scharfe Grenze zwischen wohltönender Rhetorik und den Lebenswirklichkeiten zu ziehen.
    Auf den Boden der Realität zurückgeholt wurde auch die gesamte Leitbildideologie der letzten Jahre. Galten bis vor kurzem der Manager und das Unternehmen noch so sehr als Modelle für alle Lebensbereiche, dass Professoren zu Wissensmanagern und Museumsdirektoren zu CEOs avancierten und man nicht nur öffentliche Institutionen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Kirchen, sondern die res publica insgesamt am liebsten als Unternehmen gesehen hätte, das nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gewinnorientiert zu führen war, sind diese Denkmuster nun einigermaßen ramponiert. Galt vor kurzem der Satz »In der Privatwirtschaft wäre dies nicht möglich« als schlechterdings unwiderlegbares universales Argument, weiß man mittlerweile, was in der Privatwirtschaft so alles möglich ist. Das bedeutet nicht, dass man zu alten, antiquierten Leitbildern bürokratischer Herrschaft zurückkehren muss; aber die Einsicht, dass es für verschiedene Tätigkeiten auch verschiedene Anforderungen gibt, die nicht alle im Modell des Managers oder Unternehmens Platz haben, könnte die Krise schon mit sich bringen. Und angesichts dessen, was in letzter Zeit an Spitzenmanagern,
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