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Live

Live

Titel: Live
Autoren: Ein Thriller
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ihrem Wohnzimmer lief noch. Julie Winters hatte angefangen, mit dem Geräusch des TV einzuschlafen, sie wollte, brauchte die Stimmen, die aus dem Gerät kamen, die ihr erzählten, daß alles okay war, daß es immer noch Sitcoms gab, daß die wirklich schlimmen Dinge woanders stattfanden, in Syrien, in China, in Afrika, in Rußland.
     
    Glauben Sie, daß ich eine Erklärung habe? hallte Turows Stimme in Julie nach als die Krankenschwester sich auf ihrer Couch aufrichtete und mit blinzelnden Augen auf den Bildschirm starrte, während sie versuchte, ihren Herzschlag durch reine Willenskraft runterzubringen.
     
    Die Ärzte in ihrem Krankenhaus hatten ihr ein Schlafmittel verschrieben. In Nächten wie dieser war Julie sogar versucht, es zu nehmen. Aber was dann? Als Krankenschwester wußte sie, wie schnell Abhängigkeiten entstehen konnten, hatte das zu häufig gesehen.
     
    Glauben Sie, daß ich eine Erklärung habe? meinte Turow in ihr wieder. Julie Winters stellte den Fernseher lauter. Zitterte. Und schaute einer Welt zu, die ebenfalls keine Erklärungen hatte.
     
     
     
    Fünfzehn Wochen später
     
    „Ich weiß nicht, ob das irgendwas ändern wird.“
     
    Sie hatte das Video schon zu häufig gesehen. Sie hätte das Video löschen sollen, löschen müssen. Das Video war analog, war auf einer alten Kamera aufgenommen worden, das Video hatte niemals die Festplatte eines Computers gesehen, war niemals digital kopiert, war niemals per Email verschickt worden, hatte keinerlei Spuren hinterlassen, die jemanden aufgefallen wären, war Vanessa Kesel per Post geschickt worden, nicht einmal per Kurierservice.
     
    „Vielleicht ändert sich gar nichts“, sagte Donald Turow von ihrem Bildschirm zu ihr, als der Mann, der er einmal gewesen war, der Mann, den sie geliebt und der sie und ihren Sohn geliebt hatte.
     
    Der Sohn, der nicht bei einem einfachen Autounfall ums Leben gekommen war, egal was die Polizei meinte, was die Ärzte entschuldigten, was die Pharmaindustrie verschwieg.
     
    Vanessa Kesel schloß die Augen.
     
    Es war einfacher, nur die Stimme zu hören. Es war einfacher, sich selbst zu erzählen, daß sie etwas verändert hatten. Daß es gut war, daß sie etwas Gutes getan hatten.
     
    Auf dem Tisch vor ihr waren eine Flasche Scotch und ein halb gefülltes Glas. Es war schwer gewesen, sich nicht zu Tode zu trinken, aber Vanessa wußte, es war noch nicht zu Ende.
     
    Es gab Gerüchte in den Medien, daß der Gesundheitsausschuß des Kongresses sich für eine härteren Antidepressiva Regelung stark machen würde. Die Gerüchte waren schwer zu finden, sie wurden in den hinteren Sektionen der Zeitungen und Magazine plaziert, nahmen nicht mehr den Platz ein wie noch vor einigen Wochen, waren abgelöst worden von den Geschichten über Filmstars, über Politiker, die ihre Genitalien anderen Leuten zeigten, von den Jugendlichen, die sich in der Nähe der Wall Street versammelt hatten, mit demselben Ärger, derselben Wut und dem Gefühl der Hilflosigkeit, die Donald und sie über Jahre hinweg gespürt hatten.
     
    Vanessa schloß die Augen und ließ die Stimme ihres Mannes über sich kommen, und sie erinnerte sich…
     
    … an die Stunden, die Tage und Wochen, als Donald und sie sich gestritten hatten, als es schlimm gewesen war, als sie sich selbst und gegenseitig Vorwürfe gemacht hatten…
     
    „Du warst es doch, der Sean zum Arzt geschickt hat“, hatte Donald gesagt. „Damit hat alles angefangen.“
     
    „Er hatte alle Symptome!“ hatte Vanessa sich verteidigt.
     
    „Symptome?“
     
    „Er konnte sich nicht konzentrieren!“
     
    „Und das war schlimm genug, richtig?“
     
    „Ja, es war schlimm genug. Nicht, daß du das jemals bemerkt hättest, Donald! Du warst ja nie hier!“
     
    „Weil ich arbeiten mußte!“
     
    „12 Stunden? 14 Stunden? Jeden Tag?“
     
    „Ja, verdammt!“
     
    „Für genau die Firmen, die diesen Mist herstellen!“
     
    „Ich erstelle Analysen!“
     
    „Du bist dafür verantwortlich, daß sie diesen Mist auf den Markt werfen konnten, Donald!“
     
    „Und du dafür, daß Sean diesen Mist genommen hat!“
     
    „Sean war krank!“
     
    „Sean war lebhaft!“
     
    „Warst du hier, Donald? Als Sean anfing, sich die Haut zu ritzen? Warst du hier, als er anfing zu weinen? Warst du hier? Warst du hier, als er anfing, sich zurückzuziehen?“
     
    „Großer Gott, du läßt es so klingen als hätte ich eine Affäre gehabt, Vanessa!“
     
    „Ich wünschte, du hättest
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