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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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seine Sehnsüchte, das ist alles.
    »Eines musst du mir noch verraten, Mozzie. Was hat dich so erschreckt, dass du die Band auflösen musstest? Was ist es eigentlich gewesen?«
    Kann ich ihm das sagen? Fast muss ich darüber lächeln, so banal ist es. Wird er verstehen, weshalb es mich derart in Angst und Schrecken versetzte, dass meine Welt zusammenbrach? Will er es überhaupt hören – dass ich in diesem Moment begriff, mich verliebt zu haben, in ihn, und fürchtete, damit unweigerlich ihren Weg einzuschlagen und so zu werden wie sie? Keinen Tag mehr glücklich? Weil es jetzt schon wehtat, obwohl wir noch gar nicht zusammen gewesen waren? Ich bin noch immer nicht davor gefeit.
    »Nichts weiter. Es war nicht wichtig«, lüge ich unter Tränen.
    Er glaubt mir kein Wort. »Du hättest mich umstimmen können. Ich wollte dich doch auch.«
    Er weiß es! Er weiß es, dieser Schuft. Er wollte es nur aus meinem Mund hören. Aber er irrt sich. Es wäre ein Desaster geworden und wir hätten uns nie wiedergesehen. Er hätte Maggies Einladung zur Bandprobenwoche nicht angenommen. Unsere zweite Nacht hätte nie stattgefunden.
    »Besuch mich mal in Oz, ja? Du musst mich besuchen«, murmelt er in mein Ohr, als er mich so fest an sich drückt, dass mir die Luft wegbleibt. Doch ich schiebe ihn nicht weg. Er hat es schon im Auto gesagt, einmal, als wir losfuhren, und ein zweites Mal, als wir ankamen. Dass ich ihn besuchen soll. Ja, klar, ich flieg eben mal nach Australien. Ich habe weder Geld für ein Ticket noch die Nerven, mich in ein Flugzeug zu setzen und zwei Tage lang die Kontrolle abzugeben. Doch es gibt diese Möglichkeit, theoretisch gibt es sie und sie wird mein Glückspfand sein. »Im November am besten. Dann wird’s bei uns Sommer, die schönste Zeit. Wir könnten raus nach Magnetic Island fahren …«
    Magnetic Island. Das klingt nach dem Paradies. Oh, ich möchte ihn besuchen, am liebsten morgen schon. Ich weiß nur nicht, ob ich kann. Ob es das Abenteuer ist, das ich längst hätte wagen sollen – ganz allein in ein fernes Land mit lauter Unbekannten in der Gleichung zu reisen –, oder ob es ein Fehler wäre.
    Wir sagen nichts mehr, wir versinken auch nicht in den Augen des anderen, wir küssen uns nur, dieses Mal nicht verschlingend und entflammt, sondern so langsam und zärtlich, dass ich dabei seufzen muss, und umarmen uns minutenlang, bis Falk mich schließlich aufstöhnend von sich wegschiebt, sich umdreht und mit langen Schritten zu seinem Auto geht.
    Ich rufe ihm kein »Leb wohl« oder »Pass auf dich auf« hinterher, obwohl mir bewusst ist, welchen Gefahren er sich dort unten täglich aussetzt. Die Haie sind dabei noch das kleinste Risiko. Was ist mit Wirbelstürmen, Motorradunfällen, der Taucherkrankheit? Was mit all den bösartigen Spinnen, Schlangen und Skorpionen? Oder mit den Würfelquallen, kleine, fiese Biester, deren Gift so potent ist, dass ein Streifen ihrer Tentakel ausreicht, um einen Menschen in wenigen Minuten zu töten? Und doch glaube ich nicht, dass ein Tauchgang zwischen Haien und Giftquallen ihn so anstrengen kann, wie ich es getan habe. Er wird seine einsamen Minuten haben dort unten, er weiß es jetzt schon, sonst würde er mich nicht bitten, ihn zu besuchen.
    Ich schluchze lautlos auf, als er in sein Auto steigt und die Tür zuschlägt, jetzt ist es so weit, er zieht weiter – vielleicht nur ein paar lächerliche Kilometer über den Rhein und nach Speyer-Nord, wo seine Eltern wohnen, vielleicht in eine eigene kleine Wohnung, die er sich angemietet hat. Ich könnte sogar zu Fuß hinlaufen, wenn ich wollte. Doch davon war nie die Rede. Es wäre ein Tod auf Raten, wenn ich mich mit ihm treffen würde, bevor er zurück nach Australien fliegt. Das wollen wir beide nicht. Das ist so, wie wenn man eine Gegnerin weiter schlägt, obwohl längst klar ist, dass sie den Kampf verloren hat. Stolz ist etwas anderes.
    Aber warum fährt er dann nicht los? Er bleibt sitzen, als denke er nach, ja als zögere er sogar. Falk, du wirst doch wohl nicht …? Mein Herz fühlt sich an, als wolle es sich in meiner Brust verstecken, klein und panisch und voller Sehnsucht und Furcht zugleich. Bitte, Falk, bleib stark; komm nicht zurück. Bitte, Falk, komm zurück und versuche es mit mir, wir könnten es schaffen, ich werde dich auch immer tun lassen, was du tun willst. Nein, versuche es nicht, wir würden auf verlorenem Posten kämpfen. Tu es nicht. Bang sehe ich dabei zu, wie er die Tür aufdrückt und
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