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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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von Zicke zu Monster. Maggie atmet zischend aus.
    »Nicht so gut, wie ich behauptet habe. Aber besser als Jules. Was kein Kunststück ist, das kannst du mir glauben, ihm ist immer auf halber Strecke die Luft ausgegangen.« Ihr Tonfall ist so böse, dass ich lachen muss. Sie genießt es, die Hexe zu spielen, jetzt darf sie es endlich, hat alles Recht der Welt dazu. »Und Tobi? Er ist eine kleine Sau und unterwürfig dazu. Beim letzten Mal sollte ich ihm auf den Hintern hauen. Da ist mir die Lust abhandengekommen.«
    »Männer«, sage ich schulterzuckend.
    »Ja, Männer. Sind wir zu stark, sind sie zu schwach.«
    Ich pfeife leise durch die Zähne. Seit gestern Abend überrascht mich Maggie im Sekundentakt. Ich wusste nicht, welch trockener Mutterwitz in ihr schlummert. Vielleicht konnte er aber auch erst jetzt hervorbrechen, wo sie sich endgültig von ihren Mädchenträumen verabschiedet hat.
    »Sie halten uns nicht aus«, pflichte ich ihr bei und schaue dabei zu, wie Falk mit Luna ringt und Simon den Schal etwas enger um seinen Hals schnürt. Falk fürchtet weder blutdürstige Haie noch all die anderen todbringenden Gefahren des fünften Kontinents, aber mit Frauen kann er es nicht aufnehmen. Wenn er sich ihnen ergibt, ist er machtlos und muss erneut fliehen, um zu sich zu kommen. Und doch ist er der stärkste Mann, dem ich je begegnet bin. Denn er hat es gewagt, hinter meine Fassade zu blicken. Auch das ist ein Kampf. Trotzdem, ich habe ihn gewinnen lassen. Das müssen wir tun, wir müssen sie immer wieder gewinnen lassen. Jules war ebenfalls schwach, weil er hoffte, Maggie könne ihn vor dem bewahren, was er nicht sein wollte. Er suchte sein Heil in ihr.
    »Dachtest du wirklich, die Musik bringt Jules zu dir zurück? War es dir deshalb so wichtig?« Ich schaue sie bewusst nicht an, während ich sie frage, denn ich ahne, dass sie über dieses Thema nicht mit mir sprechen möchte.
    »Nein. Es war mir wegen Simon so wichtig. Natürlich habe ich gehofft, dass Jules und ich uns hier oben in den Bergen wieder nahekommen. Wir haben uns in den vergangenen Wochen kaum noch gesehen. Aber das mit der Musik war wegen Simon. Ich wollte, dass er wieder lacht. Er hat immer gelacht, wenn wir auf der Bühne standen.«
    Ja, auch das verstehe ich. Es fehlt uns doch allen, Simons Lachen.
    »Es tut mir leid, ich konnte nicht«, gestehe ich. Für Simon tut es mir wirklich leid. »Ich habe seit fünf Jahren nicht mehr gesungen. Ich habe mich nicht getraut.«
    Auch Maggie vermeidet es, mich anzusehen. Doch sie greift nach meiner Hand und drückt sie flüchtig, als wolle sie sich bedanken und mir zugleich zu verstehen geben, dass ich nichts weiter dazu sagen muss. Vielleicht spürt sie, wie schwer es mir fällt, ihr gegenüber die Wahrheit zu sagen.
    Wir belassen es bei diesem kurzen Wortwechsel, es ist noch zu früh, sich auszusprechen. Ich weiß nicht, ob wir es jemals tun können und eines Tages wieder Musik zusammen machen. Ich wünschte, sie würde endlich erkennen, was sie mir voraushat. Eine liebende Familie, eine intakte Kindheit, einen Bruder, der für sie durchs Feuer gehen würde. Wenn sie fällt, fällt sie weich. Ich hoffe, dass sie ihren Neid eines Tages endgültig begraben kann und die Gewissheit, dass auch ich bei Jules nicht landen kann, ihr den Mut verleiht, mein wahres Gesicht zu erkennen. Ich bin kein Supergirl.
    »Und du?«, fragt Falk, als klar wird, dass Luna wie ein Mensch gezählt werden muss und der Hubschrauber eine vierte Tour fliegen wird. Doch ich will weder Simon noch Maggie allein zurücklassen. Ich bleibe. Ich möchte ohne die anderen Abschied nehmen. Es gibt noch etwas, was ich hier oben tun muss. Und das kann ich nur unbeobachtet und ungehört.
    »Du weißt doch, der Käpt’n geht als Letzter von Bord«, sage ich lockerer, als mir zumute ist. »Wir sehen uns im Tal.«
    Als ich mir sicher bin, außer Hörweite zu sein, streife ich die Jacke von meinen Schultern und kehre auf den Dachboden zurück, um das Klavier in die Mitte des Raums zu schieben, dorthin, wo die Sonne auf den Boden fällt.
    Ich muss es tun. Zu Hause wird es mir nicht gelingen. Wenn ich es jetzt nicht versuche, versuche ich es nie wieder. Ich kann es nur hier, in dieser Hütte, denn ich weiß nicht, ob ich es schaffe, mich selbst mit ins Tal zu nehmen. Ich habe keine Ahnung, was von mir übrig bleibt, sobald ich in mein altes Leben zurückfalle.
    Ich muss keinen Gedanken daran verschwenden, was ich singen werde. Ich weiß es schon lange.
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