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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume
Autoren: Connie Willis
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Leuten zu antworten, die gar nicht da waren, und wenn ich das nicht schaffte, wie konnte ich glauben, daß es Annie schaffen könnte, der Lee Nacht für Nacht ins Ohr flüsterte und ihr seine Träume erzählte?
    »Mir geht’s gut«, sagte sie im Traum zu mir. »Es wird gut für mich gesorgt.« Es war keine Nachricht. Sie war wirklich am Telefon, und ihr ging es gut, gut. Sie war zu diesem Haus mit der breiten Veranda und dem Obstgarten heimgefahren, und als sie dort angekommen war, hatte sie einen Arzt aufgesucht. »Ich dachte, du hättest Angst, man könnte dir die Träume wegnehmen«, sagte ich in den Hörer.
    »Das stimmt, aber dann dachte ich an das, was du über Tom Tita gesagt hast. Was hätte ich davon gehabt, wenn ich Lee durch den Bürgerkrieg hindurch gefolgt wäre? Ich wäre bloß umgekommen dabei. Meine Loyalität gilt zuallererst mir.«
    »Das hast du mit der Nachricht gemeint«, sagte ich und umklammerte den Hörer. »Das hast du also gemeint, als du Tom Titas Namen aufgeschrieben hast.«
    »Natürlich«, sagte sie. »Was hast du denn gedacht, was die Nachricht bedeutet?«
    »Daß du eingesperrt wärst. Daß du nicht herauskommen könntest.«
    »Mir geht’s gut«, sagte sie. »Es wird gut für mich gesorgt.«
    Wir arbeiteten den ganzen Sommer hindurch an dem Buch. Im Herbst erschien Die Bürde der Pflicht, und wir fuhren nach New York, um für das Buch zu werben. »Ich bin froh, Broun so wohlauf zu sehen«, sagte mir seine Agentin während eines Empfangs bei McLaws und Herndon. »Ich habe schon befürchtet, das Herumgerenne in Kalifornien wäre zu viel für ihn, aber er sieht prächtig aus. Ich kann Ihnen auch gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, daß das Buch endlich gedruckt wird«, sagte sie und tippte mit dem Finger auf eine Werbetafel für Die Bürde der Pflicht. »Wußten Sie, daß er mich angerufen hat, nachdem die Fahnen eingetroffen waren, und den Schluß verändern wollte? Er wollte, daß Ben und Nelly heiraten sollten. Können Sie sich das vorstellen?«
    »Wann hat er das getan?« fragte ich.
    »Oh, ich weiß nicht. Nachdem Sie die Fahnen herübergebracht hatten. Zum Glück hat er mich zuerst angerufen, und nicht McLaws und Herndon. Ich konnte ihn davon überzeugen, daß es nicht funktionieren würde.«
    »Nein, vermutlich nicht.«
    »Nun, ich meine, es war von Anfang an offensichtlich, daß sie in den Jungen verliebt war, der gestorben ist, wie hieß er noch gleich?«
    Wir blieben bis nach Weihnachten in New York, veranstalteten Signierstunden und machten bei Talkshows mit. An dem Tag, als wir nach Hause kamen, während ich nebenan war, um den Siamkater von Brouns Nachbarin zu holen, hatte Broun einen Herzanfall. Es war nur ein ganz kleiner. Er richtete kaum Schaden an. Er blieb nur eine Woche im Krankenhaus, und er schien mehr über die Tatsache aufgebracht, daß ein alter Drachen von Krankenschwester seinen Bart abrasiert hatte, als über den Herzanfall.
    »Hatten Sie irgendwelche Symptome?« wollte ich von ihm wissen. Er lag im Krankenbett und hatte sich die Kissen in den Rücken gestopft.
    »Eine leichte Magenverstimmung«, sagte er. »Oder das, was ich für eine Magenverstimmung hielt.«
    »Tat Ihnen der Arm nicht weh? Oder das Handgelenk?«
    »Nein«, sagte er. »Ich dachte, ich hätte zuviel gegessen.«
    »Haben Sie irgendwas geträumt?«
    »Ich war wach, als ich den Anfall hatte, mein Sohn«, sagte er sanft.
    »Vor dem Anfall«, rief ich. »Wovon haben Sie geträumt?«
    Brouns Arzt zog mich auf den Korridor hinaus. »Ich weiß, Sie haben eine Menge Streß, aber das gilt auch für ihn.« Er blickte auf Brouns Krankenblatt. »Und für mich ebenfalls. Ich möchte nicht, daß er wegen mir einen dritten Herzanfall bekommt.«
    »Einen dritten?« sagte ich.
    »Natürlich«, sagte er und blickte immer noch mit gerunzelter Stirn auf das Blatt. Er sah auf und bemerkte meinen Gesichtsausdruck. »Aha, dieser alte Gauner! Er hat Ihnen nie etwas gesagt, stimmt’s? Es war vor drei Jahren« – er blätterte mehrere Seiten zurück, – »im September. Am achtundzwanzigsten September. Sie waren verreist, glaube ich. Er sagte, er hätte Sie angerufen.«
    Vor drei Jahren war ich im September in Springfield gewesen, hatte mir Lincolns Grab angesehen und mich von Broun verrückt machen lassen, und nach der ersten Hälfte der Reise hatten die Anrufe aufgehört, die Nachrichten hatten aufgehört, und als ich zurückkam, hatte er eingewilligt, mir die Laufarbeiten zu überlassen.
    »Wie schlimm war
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