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Lincolns Träume

Lincolns Träume

Titel: Lincolns Träume
Autoren: Connie Willis
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in North Carolina begraben, wo sie gestorben ist.«
    Er lag eine Weile schweigend da und starrte zu Tür, wann immer eine Krankenschwester vorüberkam. Dann sagte er: »Lincolns Leichnam wurde viel herumgeschleppt. Zuerst brachte man ihn mit dem Begräbniszug nach Springfield, der in jedem einzelnen gottverdammten Kaff angehalten hat.« Er drückte sich gegen die Kissen hoch, und die Linie auf dem EKG-Schirm hinter seinem Kopf zeigte plötzlich einen Ausschlag. »Und dann war da diese Kidnapping-Geschichte, und die Wache holte ihn aus dem Grab und begrub ihn in einem Gang der Gedächtnishalle.«
    »Annie hat nicht Lincolns Träume geträumt«, sagte ich ruhig, vernünftig und beobachtete den Bildschirm. »Es waren Lees Träume.«
    »Im Jahre 1901 brachte man Lincoln wieder in das Grab zurück. Er wurde insgesamt viermal umgebettet, den Begräbniszug nicht eingerechnet.« Die Anzeige zuckte in scharfen, gefährlichen Linien. »Und wenn die Dreamtime-Quacksalber nun recht hatten, und das ganze Hin und Her hat ihn aufgeweckt?«
    »Es waren nicht Lincolns Träume«, sagte ich. »Es waren Lees Träume.«
    »Vielleicht«, sagte er und setzte sich mit einem Schwung auf, der das EKG bis an den Rand des Bildschirms ausschlagen ließ. »Ich möchte, daß du mir ein paar Bücher mitbringst.«
    Während der nächsten drei Tage erbat er sich weitere Bücher, und gegen Ende der Woche befand sich seine halbe Bibliothek in dem Krankenzimmer. »Ich hab’s«, sagte er. Er konnte sich inzwischen aufsetzen, ohne das EKG ausschlagen zu lassen. »Es waren Lincolns Träume.«
    Er hatte alles ausgearbeitet. Es war Lincoln, der die Träume geträumt hatte, nicht Lee, und ihre Träume wären gar nicht so verschieden voneinander gewesen. Sie hätten beide von Gettysburg und Appotomax geträumt. Sonderbefehl 191 war Lincoln vor Lee bekannt, und die Katze mußte gar nicht Tom Tita sein, nicht wahr? Es könnte eine von Lincolns Katzen gewesen sein. Lincoln liebte Katzen. Er hatte es alles ausgearbeitet.
    »Und wenn es wirklich Lincolns Träume waren?« sagte ich, als ich mich nicht mehr zurückhalten konnte. »Was würde das beweisen?«
    »Lincoln versuchte Willies Pony aus dem brennenden Stall zu retten. Das ist die eigentliche Bedeutung des brennenden Hauses, und nicht Chancellorsville.«
    »Es waren nicht Lincolns Träume, verdammt noch mal«, rief ich. »Es waren Lees.«
    »Ich weiß«, sagte er ruhig, und die EKG-Linie über seinem Kopf schlug augenblicklich aus. »Ich weiß, daß es nicht Lincolns Träume waren.«
    »Und warum dann das alles?«
    »Weil sie dann außer Gefahr gewesen wäre. Wenn es Warnungen waren, die von Lincoln kamen, hätten sie nicht von einem Obstgarten gehandelt, sondern von Booten. Ich dachte, wenn ich sie zu Lincolns Träumen machen könnte, dann würde es bedeuten, daß sie außer Gefahr ist.«
    »Er ist nicht in der Verfassung, um sich aufzuregen«, sagte Brouns Arzt. Er hatte mich wieder auf den Korridor hinaus und in ein leerstehendes Zimmer hineingezerrt. Das EKG hatte im Zimmer der Krankenschwestern einen Alarm ausgelöst, der jedermann herbeieilen ließ.
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Sie sehen ebenso schlecht aus wie er«, sagte er. »Wie ist es um Ihren Schlaf bestellt?«
    »Schlecht«, sagte ich. Wenn ich schlief, träumte ich von Annie. Sie stand auf der Veranda der Villa Arlington; ihre Arme um meinen Hals gelegt, und ich sagte immer wieder: »Ich möchte nicht, daß du gehst.«
    »Soll ich Ihnen etwas verschreiben? Damit Sie besser schlafen?«
    »Woran haben Sie gedacht? An Thorazin?«
    Er verstand den Scherz nicht. Er holte einen Rezeptblock hervor. »Wer ist Ihr behandelnder Arzt?«
    »Ich habe keinen. Wollen Sie meinen Hausarzt wissen? Er lebt in Connecticut.«
    »Ich verschreibe nicht gerne, ohne das Krankenblatt des Patienten zu kennen.« Er schrieb eilig auf den Rezeptblock. »Ich werde Ihnen für den Moment ein mildes Mittel geben und abwarten, bis ich Ihren Krankenbericht habe, um Ihnen dann etwas Stärkeres zu verschreiben. Sie haben keinerlei gesundheitlichen Probleme, von denen ich wissen sollte, oder? Diabetes, Herzbeschwerden?«
    »Nein.« Ich nannte ihm den Namen meines Arztes. »Wie lange wird es dauern, bis Sie den Bericht haben?«
    »Kommt darauf an. Wenn er im Computer ist, haben wir ihn in ein paar Tagen. Falls nicht, könnte es mehrere Wochen dauern. Warum? Haben Sie große Schlafschwierigkeiten?«
    »Nein«, sagte ich und steckte das Rezept ein, ohne es anzusehen. Sie hatte so
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