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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke
Autoren: Susanne Fröhlich
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schon fast aufgegeben habe und auch nicht mehr darauf hoffe, ihn im Ziel zu treffen, sehe ich etwas Seltsames. Einen Läufer mit Kappe, tief im Gesicht, der auf seinem Handy rumtippt. Wie bescheuert ist der denn? Und da piepst es auch schon. Mein Handy. Eine SMS .
    »Du Verrückte – wo bist du?«
    Ich könnte tanzen und singen – so glücklich bin ich. Er ist es! Mit neuer New-York-Kappe! Vergessen das doppelte Geschirr und alles andere.
    »Hier, hier bin ich, selber verrückt!«, schreie ich, und er hebt seinen Kopf und sieht mich. Wir rennen aufeinander zu, und ich küsse einen völlig verschwitzten, klebrigen Mann und bin nur froh. So froh.
    »Lauf weiter, ich will dir deine Zeit nicht ruinieren. Ich warte im Ziel auf dich!«, sage ich und bin so beschwingt, dass ich direkt mitlaufen könnte.
    »Moment mal, Andrea«, sagt er da. »Dein Vater hat mir so komische Sachen von diesem Lümmert erzählt, was ist da los?«
    Schlagartig verliert sich meine gute Stimmung, und ich sehe Horrorszenarien vor meinem inneren Auge aufsteigen. Klickende Handschellen, wenn ich in Frankfurt lande. Steuerbehörden, die nur auf mich warten. Was habe ich nur gemacht? Wahrscheinlich ruiniere ich auch noch Christophs Laufbahn. Ein Anwalt mit krimineller Ehefrau. Was wird aus den Kindern? Kommt man dafür in den Knast oder werden wir nur finanziell ausbluten?
    »Es tut mir alles so schrecklich leid«, sage ich mit leiser Stimme, und auf einmal fange ich an zu weinen. Der Lümmert, das Gerenne, mein Koffer, die Suche nach Christoph
– irgendwie ist mir gerade alles zu viel! »Lauf weiter«, schnüffele ich.
    »Andrea, was auch immer da los ist, wir rufen jetzt diesen Lümmert an und klären das. So geht es doch nicht weiter. Los, trau dich, wir kriegen das hin.« Er umarmt mich und macht keinerlei Anstalten weiterzulaufen.
    »Aber der Marathon«, sage ich, »deine Zeit.«
    »Es ist nur ein Lauf, Andrea, beruhige dich, du bist es, die mir wichtig ist. Ich kann nicht laufen, wenn ich weiß, du stehst hier und weinst.«
    Das ist so süß, dass ich direkt noch mehr weine. Diese Szene könnte man eins zu eins in jeden beliebigen Kitschfilm einfügen. Selbst Rosamunde Pilcher würden die Tränen kommen. Es ist lange her, dass ich so etwas gehört habe. Und so romantisch aufgeladen, wage ich es dann wirklich.
    »Gut«, greife ich beherzt zum Handy, »kannst du für mich drangehen, ich wähle.«
    »Leg los«, antwortet er, während Läufer für Läufer an uns vorbeizieht. Ich hole den Zettel, den mein Vater mir noch mitgegeben hat, aus meiner Jacke und tippe die Nummer ein. Ein Freizeichen ertönt. Schnell reiche ich den Hörer an Christoph weiter. Es dauert. Dann scheint jemand abzuheben. Christoph erklärt, wer er ist und warum er anruft. Dann kann ich dem Gespräch nicht mehr folgen, schließlich höre ich nur die eine Seite. Christoph sagt immer wieder »interessant« und »erstaunlich«, und ich finde, das klingt weniger bedrohlich als ich dachte. Zwischendrin streckt er den Daumen nach oben. Was heißt das: Kein Knast, keine Anzeige oder keine Geldstrafe? Dann sagt er: »Ich gebe sie Ihnen einfach mal selbst.« Ich schüttele den Kopf, aber er drückt mir den Hörer ans Ohr und zischt mir zu: »Ich laufe
weiter, wir sehen uns im Ziel.« Weg ist er, und ich stehe da und habe Herrn Lümmert am Telefon.
    »Sie sind mir ja eine Hartnäckige«, beginnt er das Gespräch. Ich kann mir ein »danke gleichfalls« nicht verkneifen.
    Dann erklärt er mir, warum er so penetrant hinter mir her ist. Wegen meiner Texte. Meiner eBay-Texte. Seine Frau sei mal auf einen reingefallen und ein bisschen ernüchtert gewesen, als die Ware angekommen sei, und habe ihm daraufhin meinen Anpreisungssermon gezeigt. Ich erinnere mich dunkel. Es ging um einen Schal. Herr Lümmert war sehr beeindruckt, denn er hat eine große PR -Agentur und sucht händeringend gute Texter.
    »Sie sind nicht vom Finanzamt?«, frage ich, nachdem mir ganz allmählich dämmert, dass ich auf dem völlig falschen Dampfer war. »Nee, wieso denn das? Ich will Sie einstellen. Ich brauche unbedingt eine gute Texterin. Und Sie, Sie haben es drauf.«
    »Liebes Universum, ich weiß nicht, ob du das warst, aber wenn ja – ich bin beeindruckt.«
    Herr Lümmert und ich unterhalten uns noch richtig nett und machen aus, uns nächste Woche zu treffen. Die Welt ist herrlich. Meine Müdigkeit ist weg. Davongeflattert. Da muss ich erst nach New York, um zu merken, dass der Lümmert mir nichts Böses will.
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