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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter
Autoren: Tom Holt
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drückte die Aufnahmetaste des Diktiergeräts, das neben der Nase des Riesen lag, bedankte sich fürs Essen und stieg zum Himmel empor. Kurz darauf zeichnete er sich nur noch als ein winziger Fleck vor dem Gebirgskamm in der Ferne ab.
    Was den unsterblichen Göttern wirklich nicht in den Kram paßte, war etwas ganz anderes als der Diebstahl des Feuers. Gib den Menschen Feuer, so argumentierten sie, und früher oder später werden sie sich damit gegenseitig die Häuser niederbrennen, was jeden Wochentag vier Punkte einbringt und sogar sechs, wenn der Mond im Skorpion steht. Nein, es war diese andere Geschichte, die sie nie vergessen konnten. Als ihm das wieder einfiel, mußte Prometheus kichern. Dann hob er den Kopf und brach in schallendes Gelächter aus.
     
    »Wie spät ist es?« fragte Apollo, während sie durch das gesamte Himmelsgewölbe hindurch auf die Erde zusteuerten.
    »April«, antwortete Minerva. »Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch rechtzeitig zu Ostern an.«
    Die beiden blickten sich einen Augenblick lang an, dann prusteten sie vor Lachen.
    Unter den Göttern gibt es einen Streit darum, wem von ihnen als erstem das Christentum eingefallen war – oder, wie sie es nennen, ›der große Bluff‹. Am ehesten gebührt wohl Apollo dieser Anspruch, aber eine nicht unbeträchtliche Minderheit unterstützt Pluto, den Exgott der Unterwelt, da er einen extrem schwarzen Humor besitzt.
    »Wie wäre es«, hatte der bis heute unbekannt gebliebene Gott damals vorgeschlagen, »wenn wir denen da unten erst einmal raten, sie sollen ihren Nächsten lieben wie sich selbst? Dann fordern wir sie auf, mit dem Töten und Stehlen aufzuhören und nett zueinander zu sein. Als nächstes lassen wir sie sämtliche Ketzer verbrennen.«
    Deshalb ist es nicht allzu verwunderlich, daß es den Olympiern schwerfällt, keine Miene zu verziehen, wenn sie an jene Religion denken, durch die sie praktisch überall auf der Welt ersetzt wurden (natürlich mit Ausnahme einiger Teile Kaliforniens). Auf jeden Fall in allen Teilen dessen, was sie sich unter der Welt vorstellten; die Olympier neigten schon immer zu einer gewissen Fremdenfeindlichkeit und zogen es vor, die Existenz einer Welt jenseits der Grenzen des Römischen Reiches zu ignorieren, vermutlich weil die dortigen Bewohner kein Griechisch oder Lateinisch sprechen konnten und die Götter ihrerseits keine anderen Sprachen beherrschten. Sie versuchten es natürlich; sie versuchten sogar, sehr laut und langsam zu sprechen, aber die Sterblichen verstanden sie nicht und hielten diesen eigenartigen Lärm für Blitz und Donner.
    Der Sonnenwagen glitt über die Iberische Halbinsel hinweg, was bei der Hälfte sämtlicher europäischer Fluglotsen einige heftige Wortwechsel hervorrief, und landete schließlich auf einem Hügel vor den Toren Delphis.
    »He, warum halten wir denn hier an?« wollte Minerva wissen.
    »Ich will nur nachsehen, ob es die eine oder andere Nachricht gibt«, antwortete Apollo. Dann sprang er aus dem Wagen, verwandelte sich rasch in einen untersetzten, älteren deutschen Touristen mit Videokamera und begab sich nach unten zu den Ruinen seines Tempels.
    Über dem Türsturz zum Eingang des Schatzhauses der Athener gibt es eine Inschrift, deren Buchstaben im Laufe der Jahrhunderte zwar kaum mehr zu entziffern sind, was aber noch lange nicht die Tatsache entschuldigt, daß sie von ganzen Generationen berühmter klassischer Archäologen als
     
    ERKENNE DICH SELBST
     
    übersetzt wurde, obwohl dort in Wirklichkeit steht
     
    NEU EINGETROFFENE MITTEILUNGEN.
     
    Außerdem erklärt das ebensowenig, warum sich noch nie jemand die Mühe gemacht hat, den Rest zu lesen. Obwohl dies natürlich nicht einfach wäre, da sich der Text der Inschrift alle paar Jahre leicht verändert.
    Der deutsche Tourist blieb stehen und blickte auf die nur undeutlich zu erkennenden Buchstaben. Während er dies tat, bemerkte er eine hagere kleine Frau neben sich.
    »Betty, allmählich glaube ich, deine Schrift wird immer schlechter«, stellte er lakonisch fest.
    »Tut mir leid, aber das liegt an meiner Arthritis«, entschuldigte sich die Frau.
    »Ach so, das wußte ich nicht.« Apollo machte sich einen geistigen Vermerk, daß er etwas gegen Bettys Arthritis unternehmen müsse. »Gab es irgend etwas Wichtiges?«
    Betty-Lou Fisichelli, die achttausendundsechste Sibylle von Delphi, zog ein Notizbuch aus der Handtasche und blätterte darin. »Napoleon bittet dich, ihn zurückzurufen … mittlerweile wohl
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