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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter
Autoren: Tom Holt
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Fremde klärte ihn auf und sagte dennoch keinen Ton; denn diese bestimmte Information verbal zu vermitteln, war unmöglich, und deshalb verwandelte er sich ganz allmählich in seinen Urzustand zurück.
    Mr. Derry fiel auf die Knie und hämmerte mit dem Kopf auf den Teppich ein. Er wußte zwar nicht, warum er das tat, doch es schien ihm in diesem Augenblick genau das richtige zu sein. Überall um ihn herum schossen blau- und goldfunkelnde Lichtstrahlen empor, und im ganzen Raum knisterte es von der statischen Aufladung. In der Küche schälte sich die Silberauflage des Bestecks ab, das einst der Kusine von Mr. Derrys Großmutter gehört hatte. Im selben Augenblick wurde die Hintertür geöffnet, und der kleine Jason, der den Kadaver eines riesigen Löwen hinter sich herzog, drängte sich rückwärts hindurch.
    »Hallo, Dad!« begrüßte er beiläufig seinen Vater.
    »Hallo, mein Sohn!« antwortete der Fremde.
    Jason ließ den Löwen fallen, versetzte ihm verächtlich einen Tritt und stellte den Schulranzen auf dem Tisch ab. Dann blickte er den Fremden an und fragte: »Darf ich mit Stuart und Terry am Samstag zum Fußball gehen? Terrys Vater hat versprochen, uns alle mitzunehmen.«
    Der Fremde dachte kurz nach und antwortete dann: »Wenn du bis dahin deine Schularbeiten gemacht hast, habe ich nichts dagegen. Aber denk daran, gleich nach dem Spiel nach Hause zu kommen«, fügte er hinzu. »Du weißt ganz genau, daß sich deine Mutter sonst Sorgen macht.«
    »Okay, Dad«, willigte Jason ein und stürmte gleich darauf nach oben auf sein Zimmer.
    Der Fremde grinste, und rings um die Elektroinstallationen flackerten kleine Lichtblitze auf. »Ist es nicht ein Jammer, daß Kinder irgendwann erwachsen werden?« seufzte er.
    Mr. Derry sah den Fremden mit einer Mischung aus Neugier, Ehrfurcht und Eifersucht an. »Dann kennen Sie Jason bereits?« fragte er verdutzt.
    »Sicher«, antwortete der Fremde. »Wer, glauben Sie, holt ihn wohl sonst jeden Tag von der Schule ab?«
    Mr. Derry schnellte herum und blickte seine Frau finster an, die nur mit den Achseln zuckte.
    »Falls Ihnen jedenfalls alle diese Vie …, ich meine diese Tiere und andere Dinge auf die Nerven gehen, sagen Sie einfach das Stichwort, und ich lasse jemanden vorbeikommen, in Ordnung? Merkur oder … na, irgend jemanden eben.« Der Gedanke, Merkur darum bitten zu müssen, jeden Abend mit einem riesigen Handfeger und Kehrblech das Sonnensystem abzuklappern, um den Dreck seines kleinen Bruders zusammenzufegen, war nicht gerade erbaulich. »Jedenfalls brauchen Sie sich deshalb keine Sorgen zu machen«, beruhigte ihn der Fremde und fuhr, an Mrs. Derry gewandt, mit leicht zitternder Stimme fort: »Es war schön, dich wiedergesehen zu haben. Das nächstemal sollten wir nicht soviel Zeit vergehen lassen, oder was meinst du?«
    Er lächelte sanft, schnippte mit den Fingern und stieg in den großen goldenen Wagen, der wie aus dem Nichts auf dem Teppich materialisiert war. Ein Donnerschlag ertönte, und er war verschwunden.
     
    Auf dem Rückweg zum Sonnenpalast befielen Jupiter plötzlich merkwürdige Schuldgefühle. Vielleicht lag es daran, gesehen haben zu müssen, wie alt und schwabbelig die Sterbliche geworden war. Dabei war alles erst – was, sollte das wirklich erst zehn Jahre hergewesen sein? Höchstens zwölf; und schon sah sie aus wie ein getrockneter Pfirsich. Betrübt schüttelte er den Kopf, trieb die Pferde an und galoppierte durch die glühenden Gase der äußeren Sonnenstrahlen. Vor allem aber hoffte er, daß seine Frau von seinem Ausflug nichts mitbekommen hatte.
     
    Sie hatte alles mitbekommen.
     
    Apollo, der unter einem riesigen Bronzeschild Schutz suchte, blickte auf die Uhr.
    »Wie lange geht das jetzt schon so?« fragte eine Stimme von der Decke herab.
    »Sechs Stunden«, antwortete Apollo. »Und wenn du wüßtest, wie dämlich du da oben aussiehst, kämst du sofort runter.«
    Die Spinne zuckte nervös. Dann ließ sie sich rasch am Faden nach unten gleiten und gesellte sich zu Apollo unter dem Schild, wo sie sich zurückverwandelte in Minerva, die Exgöttin der Weisheit.
    »Mach ’ne Fliege, für zwei ist hier nicht Platz genug, Mini!« zischte Apollo sie an.
    Ein Blitz zischte ihm am Ohr vorbei und schlug in die brennenden Heliumschwaden ein, die den Boden des Wintergartens bildeten. Es entwickelte sich ein heftiger Sprühregen aus bläulich glitzernden Funken, von denen einer direkt auf Minervas Nase landete.
    »Autsch!« rief die Exgöttin der
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