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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter
Autoren: Gaby Hauptmann
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hatte. Er hatte erfasst, was sie sich noch nicht eingestehen wollte. Sie musste ihn suchen. Sie musste Moritz finden.
    Der Tag brachte nur Absagen. Jeder Kunde hatte was zu nörgeln, und wenn ihm eine Wohnung gefiel, dann wollte er handeln. Ella kannte jede Facette ihrer Arbeit. Die einen versuchten heimlich den Eigentümer herauszufinden, um das Geschäft hinter ihrem Rücken abschließen zu können. Andere warteten bis zur letzten Sekunde und täuschten vor dem Notar einen entschlossenen Rückzieher vor, um den Makler zu erpressen und zu weiteren finanziellen Zugeständnissen zu zwingen. Es wird immer ekelhafter, dachte Ella, aber eigentlich war ihr das heute egal. Wichtig war nur, dass ihr Ben seine Begleitung zugesichert hatte. Ja, sie würden nach Stockholm fliegen und diese Künstlerin ausfindig machen. Im Katalog stand keine Adresse von Inger Larsson, und das Internet gab ebenfalls keine Adresse preis. Auf Facebook war sie nicht. Eine zurückgezogene, scheue Frau, so stand es auf Englisch in einem kurzen Artikel über sie zu lesen, aber mehr auch nicht – keine weiteren Angaben, kein Bild. Sie hatte mit der deutschen Galeristin telefoniert, aber auch die konnte nicht weiterhelfen. Inger Larsson sei von der schwedischen Kollegin sehr empfohlen worden, und da sie öfter mal einen Austausch hatten, habe sie sich über deren Biografie nicht weiter informiert. Sie wusste nur das, was man über seine ausstellenden Künstler im Normalfall wusste.
    »Toll«, sagte Ella und rief in der schwedischen Galerie an. Es dauerte ewig, bevor überhaupt jemand abnahm, und dann war eine Frauenstimme am Apparat, die so zugeknöpft klang, dass Ella irgendwann mit einem »Vielen Dank für Ihre Mühe« wieder auflegte. Sie saß an ihrem gläsernen Schreibtisch, den sie sich in den lichten Erker ihrer Altbauwohnung hatte einpassen lassen. Hier arbeitete sie gern. Der Blick ging vom fünften Stock aus ungehindert über die Straßen des Viertels, die meisten Häuser waren durch die Hanglage niedriger als ihr Arbeitsplatz. Einige Kastanien hatten die Straßenverbreiterung überlebt und schenkten ihr mit ihren Blüten, grünen Blättern und Kastanien den Jahresrhythmus, und auch die Wohnung auf der anderen Straßenseite lag in ihrem Sichtbereich. Und obwohl sie nicht wusste, wer dort lebte, empfand sie Bewegung hinter den Vorhängen oder erleuchtete Fenster immer tröstlich. So ein bisschen, als wäre die Familie nach Hause gekommen. Manchmal brachten sie solche Gefühle zum Nachdenken. Über sich, ihre Situation, ihr Alter. Vierunddreißig. Wollte sie Familie? Wollte sie ein Kind? War Ben der Richtige? Eignete er sich als Vater? Wollte er überhaupt Vater werden? Und sie selbst, wollte sie Kinder?
    Mit Ben war sie jetzt seit acht Jahren zusammen. Eine lange Zeit. Eigentlich, so dachte sie, weiß man nach acht Jahren, ob es der Mann fürs Leben ist. Sie wusste es einfach noch nicht. Er war verlässlich, und sie hatte sich irgendwann in ihn verliebt. Mehr fiel ihr auf Anhieb nicht ein. Doch. Verlässlich – das war er damals gewesen. Heute musste sie das hinterfragen. Immer wieder musste er in letzter Sekunde umplanen oder absagen. Wie ein Unfallarzt, dabei war er ein ganz normaler Angestellter, Abteilungsleiter in einem großen Möbelhaus.
    Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und ging in dicken Socken über den Parkettboden. Das liebte sie. Diesen weiten Parkettboden, die dunkle Farbe, den rötlichen Schimmer des Holzes. Die Räume waren nicht besonders groß, dafür sehr hoch, und sie hatte versucht, möglichst wenig ins Zimmer hineinzupacken. Ihren Nippes aus der letzten Wohnung hatte sie in zwei Umzugskartons verbannt, wo er nun schon seit Jahren im Keller auf Befreiung hoffte. Es hallte sogar, wenn sie durch die Räume ging. Für sie war das wie Musik. Eine aufgeräumte, leere Wohnung. Schon deshalb konnte sie sich eigentlich kein Kind vorstellen. Wo sollte der ganze Babykram hin?
    Die alten hellen Steinfliesen in der Küche hatten dunkelblaue Sprenkel und fühlten sich sogar durch die dicken Wollsocken hindurch kühl an. Sie stellte einen Wasserkessel auf. Er war schon alt und verkalkt, aber er pfiff noch immer so schön grell durch die Wohnung wie die alten Spielzeuglokomotiven ihres Großvaters, die aus buntem Blech und in ihrer Erinnerung wunderschön gewesen waren.
    Ella hatte gute Laune. Sie würde sich jetzt einen Ingwertee aufbrühen, der gut zu ihren dicken Socken und der nasskalten Witterung passte, und sich dann einige
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