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Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter
Autoren: Gaby Hauptmann
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durcheinander.
    »Da bist du ja!«, rief Ludger. »Inka ist wieder da«, rief er den anderen zu.
    »Ich bin Ella!«
    »Dann ist es Inka«, sagte er, und Schweigen breitete sich aus, dass es Ella die Körperhaare aufstellte.
    »Was ist denn los?«
    Kerstin, die Abitursbeste, rief: »Einer muss losfahren, den Krankenwagen alarmieren.«
    »Das ist zu spät«, hörte Ella eine leise Stimme aus der Runde.
    »Zu spät? Was? Wofür?« Mit aufgerissenen Augen packte sie Ludger am Arm. »Was ist zu spät, Ludger, was ist los?«
    Ella spürte es wieder, jedes Härchen richtete sich auf, ihre Hände hielten das Lenkrad krampfhaft umklammert, sie sah alles noch einmal vor sich, jede Einzelheit. Sie öffnete die Augen. Ihr Puls raste, und die Wagenscheiben waren von ihrem Atem beschlagen.
    »O Gott«, sagte sie und fasste sich an die Stirn. Inka, wie sie tot im seichten Wasser lag, das gekenterte Boot und Moritz, von dem jede Spur fehlte.
    Tagelang wurden das Wasser und die schilfreiche Umgebung nach ihm abgesucht, keiner wusste, was passiert war. War es ein Unfall? Und wenn ja, wo war Moritz abgeblieben? War er auch tot? Waren sie ertrunken, als sie sich liebten?
    Erst nach der Obduktion kam die Polizei mit der schaurigen Wahrheit in Ellas Elternhaus, in dem jedes Lachen erstickt, jedes Gefühl gestorben war. Inka war unter Wasser gedrückt worden. Die Blutergüsse am Hals bewiesen es – Inka hatte gekämpft, sich gewehrt und dann doch zu viel Wasser in die Lungen bekommen.
    Ein Fahndungsbefehl ging raus. Die Eltern von Moritz standen bei der Beerdigung ganz hinten. Keiner konnte zu ihnen hinschauen, und Ella fand es mutig, dass sie überhaupt gekommen waren. Aber auch sie konnte nicht zu ihnen gehen.
    Doch Moritz’ Vater wollte es nicht wahrhaben, er holte Spezialisten, die im Wasser und im Schilf weiter nach seinem Sohn suchen sollten. Falls er tot irgendwo im Wasser trieb, wollte er ihn wenigstens beerdigen können, sagte Moritz’ Vater. Er musste Gewissheit haben. Aber Ella wusste, dass es ihm nicht nur um seinen Sohn ging, es ging ihm auch um seine Karriere. Die Wahl zum Landrat stand an, und Hermann Springer hatte gute Chancen. Er hatte einen Teil seines Lebens als erfolgreicher Geschäftsmann verbracht, die von ihm aufgebaute Firma sehr gut verkaufen können und war dann in die Politik eingestiegen. Er war jemand, wie man in der Kreisstadt sagte. Wenig später gewann er die Wahl, aber Moritz blieb verschwunden.
    Ella wischte mit der Handfläche über die beschlagene Windschutzscheibe. Es schmierte, und sie sah weniger als zuvor. Wie dumm, dass Steffi ausgerechnet jetzt nicht da war. Sie hatte ihr damals Tag und Nacht zur Seite gestanden. Ohne sie hätte sie das Ganze wahrscheinlich überhaupt nicht überlebt. Steffi hatte ihr in stundenlangen Gesprächen zugehört und Trost gespendet, und wenn es auf die Frage nach dem Warum auch keine Antwort gab, so hatte das aufrichtige Mitgefühl doch gutgetan.
    Ella nahm ihren Ärmel zur Hilfe. Schon besser. Zumindest konnte sie jetzt wieder etwas erkennen. Sie musste mit jemandem darüber reden. Sie musste zu Ben. Egal, was ihn heute im Büro hielt – sie hatte Vorrang. Dieses eine Mal war sie wichtig, nur sie.
    Als hätte er es gespürt, hatte Ben ihr in dem Moment, als sie ihn anrufen wollte, eine SMS geschickt. Er sei nun auf dem Weg nach Hause und ziemlich erschlagen. Ob sie trotzdem noch kommen wolle?
    Heute kannst du mich nicht abhalten, dachte Ella nur. Müde Männer sind zwar abtörnend, aber heute brauche ich eine starke Schulter, jemanden, der mich in den Arm nimmt, mir sagt, dass alles nicht wahr ist. Sie parkte nach hinten aus und hätte fast einen Laternenmast gerammt, weil sie durch das beschlagene Rückfenster nichts sah. Entnervt ließ sie alle vier Fenster nach unten gleiten. Regen und kalter Nebel waren immer noch besser als ein totaler Blindflug. Der Luftzug half, die Scheiben wurden langsam klar, und Ella fuhr los, noch immer wie betäubt.
    Ben hatte sich eben ein Bier geholt und stand fragend vor ihr. Mit seinen fast zwei Metern sah er aus wie eine kleinere Ausgabe der Klitschko-Brüder. Breit und massig, nur sehr viel weniger Muskeln. Ben war mal Mehrkämpfer gewesen, hatte seinen Abschied vom Sport allerdings sehr wörtlich genommen: Seither brachte ihn Ella kaum noch zu einem Spaziergang. Wenn sie sich bewegen wollte, trabte sie meist alleine los.
    »So, du glaubst also, das sei Moritz, obwohl das Bild sehr modern ist?«
    Ella lehnte am Türrahmen, noch
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